Miss Emergency
können, bitten Sie sie darum. Aber versprechen Sie mir, dass Sie bis Montag nicht ans Geschäft denken!«
Sie lächelt leicht abfällig. »Mein Geschäft hat doch am Wochenende keine Pause!« Erst als ich sage, dass ich den Schrank auch abschließen kann und in meinem Wochenendtäschchen sehr wohl Platz für einen kleinen Schrankschlüssel ist, gibt sienach. Ich greife nach dem Charlotte-Link-Roman oben auf ihrem Nachtkästchen und lege ihn auf die Bettdecke.
»Wenn Sie sich wirklich langweilen am Wochenende, dann lesen Sie doch endlich mal das hier!« Als ich sie verlasse, bin ich nicht ganz überzeugt, dass Frau Jahn meinen Abschalt-Anordnungen hundertprozentig gehorchen wird. Aber mehr, als Schwester Jana noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Patientin sich schonen muss, kann ich wirklich nicht tun.
Auf dem Gang treffe ich auf Dr. Thiersch. »Wie ist es gelaufen?«, frage ich. Sie sieht mich barsch an. »Was?«
»Der Verkehrsunfall …« Wie kann sie nicht wissen, was ich meine?! Hör auf, Lena. Für sie ist so etwas vollkommen normal. Für mich nicht.
»Er liegt auf der ITS«, antwortet sie schroff. »Wird es schon schaffen.« Sie wirkt müde. Aber wie schafft sie es, so kühl zu bleiben? Ist das ihre einzige Chance? »Wenn Sie nichts mehr zu tun haben, stehen Sie nicht im Weg rum!«, fährt sie mich an und verschwindet im Büro. Ich weiß, ich bin gerade ihr Blitzableiter, sie lässt ihren Druck an mir ab. Vorhin habe ich sie noch gehasst. Doch jetzt macht es mir ein einziges Mal nichts aus, von ihr angeherrscht zu werden.
Ich beschließe, zum Feierabend noch einmal bei Ruben vorbeizugehen und mich für meinen leicht beleidigten Abgang zu entschuldigen. Es war nicht fair, ihn dafür büßen zu lassen, dass meine Liebesbeziehung irgendwie schwierig ist – und dass er nicht den sorg- und planlosen Optimismus teilt, den ich zur Liebesverteidigung bemühe.
Der Gang zur Cafeteria ist leer. Nur Tobias’ Tür steht offen. Wir stoßen beinahe zusammen, als er aus seinem Büro tritt. Er sieht mich und sein Gesicht beginnt zu leuchten. »Schön, dass du da bist«, sagt er. »Ich bin den ganzen Tag nur herumgerannt und hab schon befürchtet, dich überhaupt nicht mehr zu sehen.« Und ich vergesse, dass mich noch vor kurzer Zeit ein blauhaariger Koch fast dazu gebracht hätte, diese Heimlichkeiten trostlos zu finden.
Eine Sekunde später stehe ich in Tobias’ Büro und wir küssen uns. Alle Heimlichkeiten der Welt sind gerechtfertigt, wenn DIES auf der anderen Seite der Waagschale liegt. Ich WILL, dass es funktioniert!
»Musst du heim?«, fragt er und ich schüttle wie gebannt den Kopf. Die ganze Welt ist schlagartig vergessen. Ich muss nirgendwohin. Nur hier sein. Bei dir.
Eine halbe Stunde später sitzen wir immer noch eng zusammen. Wir trinken Kaffee, ich sitze auf der Lehne seines Sessels, er hält mich im Arm, wir reden. Ich erzähle von dem Unfallopfer und er beruhigt mich.
»Es ist alles gut gegangen«, sagt er entschieden. »Glaub mir, du wüsstest, wenn nicht.« Dann berichte ich ihm von der Chefarztbegegnung und der anschließenden Rüge. Er nickt bedächtig. »Du wirst dich überwinden müssen«, meint er schließlich, »und das Gespräch mit Dr. Thiersch suchen. Erklär ihr, dass du eine verantwortungsvolle Person bist und eine Chance verdient hast. Sie will die Alphafrau sein – na und? Was kümmert es dich.« Ich nicke. Was kümmert mich überhaupt gerade?!
Erst nach einer Stunde frage ich mich, was meine Freundinnen wohl denken. Es ist still geworden auf dem Flur; wir sitzen immer noch hier, aneinander gekuschelt. Ich habe von Isa und Jenny erzählt, von Tom und seinen Jobplänen. Dass sie mich jetzt vielleicht brauchen. Lasse ich Isa im Stich, weil ich immer noch hier sitze? Es ist inzwischen lange nach Dienstschluss und obwohl ich mich schwer trennen kann, erwähne ich irgendwann, dass ich mich allmählich auf den Heimweg machen sollte. Tobias greift nach seiner Jacke. »Ich fahr dich natürlich.« Und erst jetzt fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit allein geredet habe. Er hat überhaupt nichts erzählt. Den ganzen Abend ging es nur um die Chirurgie, meine Freundinnen, meine eigenen Pläne und Sorgen. Gibt es im Leben eines Oberarztes denn gar nichts, was einer Mitteilung würdig ist? Oder habe ich ihn einfach nicht zu Wort kommen lassen?
Im Auto fahren wir schweigend, er lächelt ab und zu herüber;manchmal wirkt es, als sei er regelrecht verwundert darüber, dass ich hier neben
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