Miss Emergency
Gesangseinlage eines Frauenduos, beginnt Jenny sich langsam zu langweilen. »Entweder wir singen jetzt auch oder wir verlassen die Party allmählich«, sagt sie und ich beschließe, dass dann ein sauberer Abgang auf jeden Fall die bessere Alternative ist. Björn wirkt schwer beschäftigt, Jenny wirft ihm eine Kusshand zu und wir stöckeln hinaus. Zum Abschied gibt es keine Fotografen; die sind wohl schon in ihre Redaktionen gehetzt und stellen gerade kopfschüttelnd fest, dass sie sich heute bei der Motivauswahl irgendwie von einem falschen Bauchgefühl leiten ließen. Dafür stehen wieder die Hostessen parat und überreichen uns Geschenkbeutelchen. Der Sicherheitsriese winkt ein Auto heran, diesmal kein schnödes Taxi, sondern einen großen, schwarzen Wagen, und wir steigen ein. Jenny würde gern noch zu einer Party fahren, da mir aber in ihren High Heels mächtig die Füße schmerzen, lässt sie sich überreden, mich vorher daheim abzusetzen.
Der Fahrer ist leicht überrascht, als Jenny ihm erklärt, dass wir nicht nur um die Ecke zum Ritz-Carlton fahren wollen, sondern nach Ostberlin in eine kleine, etwas schäbige Straße. Doch da auch er nicht weiß, wen er geladen hat – oder einfach gut erzogen ist – chauffiert er uns bis zu unserer Wohnung.
Schon im Auto plündern wir die Geschenktütchen. Herrlich! Die neuste Ausgabe der gefeierten Zeitschrift habe ich ja erwartet, nicht aber die Süßigkeiten und Kosmetik-Teilchen. Ich fördere eine Schlafbrille zutage und ein Tüchlein, von dem Jenny behauptet, es sei mindestens so teuer wie hässlich. Für Jenny kommt es natürlich nicht infrage, ein Tuch zu tragen, das hundert andere Gäste ebenfalls in einem Giveaway-Beutelchen gefunden haben, ich aber werde es als schöne Erinnerung aufbewahren.
Unterwegs nörgelt Jenny noch ein bisschen, ich soll mit ihr in einen Club fahren. Aber ich bin müde, das war wirklich genug Aufregung für einen Abend. (Klar, nichts hindert mich, mit ihr noch zu einer anderen Party HINZUFAHREN. Aber ich weiß, dass Jenny vor vier Uhr nicht müde wird. Und nach mirruft mein Bett bereits mit einem Megafon.) Als der Wagen vor unserem Haus hält, fragt Jenny ungeniert, ob der Fahrer sie noch zu einem Club chauffieren könnte. Der Mann ist verlegen, eigentlich war schon diese eine weite Tour nicht vorgesehen. Zum Glück entdecke ich in diesem Moment ein Motorrad. Felix lehnt an seiner Maschine und schaut ratlos zu unseren dunklen Fenstern hinauf. Jenny freut sich, schenkt dem Fahrer in Ermangelung eines Trinkgelds das hässliche Tüchlein und springt aus dem Wagen direkt in Felix’ Arme.
»Toll, dass du hier bist! Ich war drauf und dran, mir in irgendeinem Club einen neuen Freund zu suchen!«
Ich wünsche den beiden einen schönen Abend, erleichtert, dass ich nun ohne schlechtes Gewissen ins Bett gehen kann. Als ich noch eine Sekunde stehen bleibe, um zuzusehen, wie Jenny sich in ihrem gewaltigen Kleid auf das Motorrad schwingt und die beiden davonbrausen, kommt noch einmal ein winziger Moment des Selbstmitleids auf. Wo mag Tobias jetzt sein? Denkt er vielleicht an mich; ahnt er, dass ich gerade inbrünstig beschwörend an IHN denke? Weiß er, dass ich so unfassbare Sehnsucht nach ihm habe?
I sa ist ratlos. Glücklich, aber total durcheinander. »Stell dir vor, ich soll nach München ziehen!«, empfängt sie mich nervös an der Wohnungstür. Zum Glück bin ich auf das Gespräch vorbereitet, sonst würde es mir sicher schwerfallen, aus Isas Gestammel die nötigen Informationen herauszusortieren. Tom hat ihr zwar nicht gleich einen Heiratsantrag gemacht, aber klargestellt, dass er fest auf eine gemeinsame Zukunft baut. Wenn ich es richtig verstehe, hat er schon von Hochzeit gesprochen, die er als obligatorischen Schritt ansieht.
»Bist du jetzt verlobt oder nicht?!«, frage ich verwirrt. DAS will man doch wissen!
Isa lacht fast hysterisch. »Das ist doch jetzt nicht die Frage! Ich muss erst mal entscheiden, ob ich im nächsten Monat nach München ziehen will!«
Mindestens eine Stunde diskutieren wir das Für und Wider. Natürlich will Isa Tom nicht verlieren. Aber soll sie hier echt alles hinschmeißen? Ist es tatsächlich so leicht, einen PJ-Platz in München zu bekommen, wie Tom glaubt? Will sie ihre Freundinnen verlassen? Wie wird sie, die so schwer auf Fremde zugehen kann, sich in dem neuen Umfeld einleben? Ich kann ihr gar nichts raten; klar würde ich sie schrecklich vermissen – aber wo Isa glücklicher wäre, kann ich
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