Miss Emergency
an. Aber ich versuche doch nur, irgendeinen Grund zu finden!
»Danke, Lena!«, sagt sie wütend. »Nett, dass selbst du denkst, dass ich mir ja irgendwas vorzuwerfen haben muss!«
Ich will sie in den Arm nehmen, doch sie schüttelt mich ab. Na schön, ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass man sie jetzt am besten in Ruhe lässt. Ich stehe auf. »Ich bin sicher, das klärt sich«, sage ich – und dann fällt mir ein, für wen die Änderung mindestens so unerfreulich sein muss wie für Jenny. »Was sagt denn Paula zu dem abrupten Tausch?«, frage ich vorsichtig. Jenny schnieft. »Vergiss es, die redet nicht mal mehr mit mir! Die glaubt auch nicht, dass ich nichts gemacht habe, und fühlt sich jetzt verraten!«
Ich ziehe die widerstrebende Jenny mit mir über den Chirurgieflur. Meine spontane Reaktion tut mir leid, inzwischen bin ich fest davon überzeugt, dass Jenny zu Unrecht ausgetauscht wurde. Wer hat Dr. Thiersch diesen Floh ins Ohr gesetzt?! »Mit wem sollen wir reden?«, frage ich eilig. »Mit Dr. Thiersch oder mit Paula?«
»Bei Dr. Thiersch ist nichts zu machen«, sagt Jenny leise. Ich öffne Paulas Zimmertür; sie ist schon umgezogen und wir haben sicher nur noch wenige Minuten, bis sie zur OP geholt wird. Ich schiebe Jenny ins Zimmer. Paula dreht sich weg.
»Hier ist irgendwas total schiefgelaufen«, sage ich hilflos zur Wand, »Jenny darf nicht assistieren. Aber sie kann nichts dafür.« Paula antwortet nicht. Jenny sagt auch nichts. »Es wird trotzdem alles gut gehen«, setze ich schließlich hinzu, was soll ich denn sagen?! Eine dunkle Wolke scheint sich in dem kleinen Zimmer zusammenzuballen. Die Tür öffnet sich wieder, eine Schwester kommt herein. »Der OP hat angerufen, es geht los«, sagt sie zaghaft in meine Richtung, dann tritt sie an Paulas Bett und löst die Bremsen. Noch eine Sekunde, nur ein einziges Wort! Niemand sagt etwas. Die Schwester sieht mich verwirrt an. Ich schaue von Jenny zu Paula, nichts passiert. »Ich muss«, sagt die Schwester. Ich nicke ihr zu. Ich weiß.
Die Schwester schiebt das Bett hinaus, wir treten zur Seite. »Viel Glück«, sagt Jenny leise, als das Bett an ihr vorbeigeschoben wird. Doch Paula dreht sich weg und antwortet nicht. Meine Freundin steht reglos da und sieht dem Bett nach. Die Schwester drückt den Türöffner zum OP-Bereich, Paula verschwindet aus unserem Blickfeld. »Viel Glück«, wiederholt Jenny noch leiser. Und ich könnte heulen.
»Ich gehe jetzt«, sagt Jenny entschieden. »Ich werde hier ja wohl heute nicht mehr gebraucht.« Ich weiß, dass es ganz falsch ist, dass das absolut nicht in Ordnung geht. Aber ich halte sie nicht auf.
Tatsächlich merkt niemand, dass Jenny fehlt; für die Nachmittagsrunde war sie ohnehin nicht eingeplant und Isa und ich übernehmen Sabrinas Aufgaben, damit nicht auffällt, dass ein PJler zu wenig Dienst tut. Isa kann sich Dr. Thierschs spontane Launenänderung auch nicht erklären. Sie ist entschlossen, diese Frage in ihrem Feierabend-Zukunfts-Gespräch mit Dr. Gode zu klären und ich beschließe, bei diesem Teil der Unterhaltung dabei zu sein.
Paulas OP ist noch nicht beendet, als wir zum Dienstschluss bei Dr. Gode im Arztraum Platz nehmen. Wir liegen falsch in der Annahme, Dr. Thiersch hätte ihm Jennys Austausch nicht mitgeteilt – und auch über Jennys nachmittägliche Flucht weiß er Bescheid. Autsch, das ist natürlich nicht die optimale Voraussetzung für unser Gespräch. Eine Freundin von dem Verdacht der Unzuverlässigkeit reinzuwaschen, die sich mal eben mitten im Dienst verdrückt hat, ist nicht ganz so einfach. Als Erstes ist also eine stellvertretende Entschuldigung fällig, wir verteidigen Jennys Kurzschlusshandlung mit Überforderung und Enttäuschung nach der überraschenden, ungerechten Absage. Isa ist dabei etwas vorsichtiger und stets darauf bedacht, Dr. Gode zu zeigen, dass wir ihn respektieren und ärztliche Entscheidungen nicht grundsätzlich infrage stellen – aber ich, die ich bereits Erfahrungen mit Dr. Thierschs spontaner Ungerechtigkeit gemacht habe, muss mich ziemlich zusammenreißen, um nicht patzig zu werden. Denn als ich zum dritten Mal »Was denkt die sich eigentlich« fauche, schmunzelt Dr. Gode nicht mehr und Isas in meinen Arm gekrampfte Fingernägel warnen mich deutlich, die fröhliche Kollegialität des Stationsarztes nicht zu überschätzen. Dr. Gode kann im Übrigen nicht erklären, was Dr. Thiersch sich denkt. Aber – und an diesem Punkt ist seine Bereitschaft
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