Miss Emergency
droht sie. »Ihr beide würdetohne mich nur noch Blödsinn anstellen! Auch du, Lena, lach nicht! Ich darf gar nicht daran denken, was aus dir wird, wenn ich dich allein unter Jennys Einfluss zurücklasse!« Es kann sogar sein, dass sie recht hat. »Keine Nacht Schlaf, zwei Freunde gleichzeitig und die Karriere immer kurz vor dem Ruin, Lena, damit kann nicht jeder so locker umgehen.« Einen Moment grinsen wir vor uns hin. Dann wird Isa wieder ernst. »Meinst du, er versteht das?«, fragt sie leise. Ich würde gern überzeugter klingen, doch mein »Bestimmt« hört sich ziemlich dünn an. »Wir werden eben eine Fernbeziehung führen müssen«, erklärt Isa so vorsichtig, als müsse sie MICH überreden. »Vielleicht kann ich nachkommen, wenn mein PJ beendet ist?«
Ich nicke ihr zu. »Es ist sicher besser so. Nach dem PJ wird doch ohnehin alles neu gemischt; du machst dann eben deinen Facharzt in München«, sage ich vernünftig. Isa seufzt. »Und dann wird es immer noch hart genug …«
Sie atmet schwer aus und sieht mich schuldbewusst an. »Hier sitze ich und erzähle groß daher, wie ich mich um euch kümmern muss – und hab noch nicht mal mit Jenny gesprochen!« Ich erzähle, dass unsere wilde Freundin ihr Telefon ausgeschaltet hat. Isa überlegt. Dann steht sie auf und streicht den Kittel glatt. »Ich weiß, wo sie ist.«
Die Intensivstation liegt leer und still. Ich merke, dass es zu der abgebrühten Ärztin, die ich gerne werden möchte, wohl doch noch ein langer Weg ist – denn als wir die ITS betreten, überkommen mich sofort Beklemmungen. Eine Schwester, die wir nach den Neuzugängen fragen, deutet auf das erste Zimmer, vor noch nicht mal einer Stunde wurde eine frisch operierte Patientin gebracht. Eine Kollegin ist bereits bei ihr, sie hat schon hier gewartet, als die Patientin noch im OP war.
Wir öffnen die Zimmertür, Jenny sitzt neben dem Bett. Drainagen, Katheter, ein Tropf, eine Nasensonde, Paula ist immer noch sediert; sie schläft und wirkt schrecklich jung und verletzlich. Und meine Freundin, die ich auf einer Frust abbauenden Motorradtour vermutet habe, sieht aus, als hätte sie geweint. Sieschaut auf, sieht uns an und scheint sich für ihre Gefühle nicht zu schämen. »Warum versteht sie denn nicht, dass ich nichts dafür kann?! Ich hab sie doch nicht im Stich gelassen …«
Ich weiß nichts zu sagen, sie tut mir unendlich leid. Im Gegensatz zu mir findet Isa immer die richtigen Worte. Ruhig geht sie auf Jenny zu. »Wenn sie aufwacht, Jenny. Dann kannst du es ihr erklären und ich bin sicher, sie wird es verstehen.« Jenny sieht sie unsicher an. »Wenn du gewusst hättest, dass es so ausgeht«, bekräftigt Isa, »hättest du dich lieber zur Nonne ordinieren lassen, als das Risiko einzugehen.«
»Na ja …« Jenny kann schon wieder lächeln. »Vielleicht nicht gleich zur Nonne. Schwarz steht mir nicht.«
»Der Wille zählt«, sagt Isa entschieden. »Außerdem gibt es auch lila Habits. Und jetzt lass uns nach Hause gehen, du kannst sicher morgen mit Paula sprechen.« Jenny wirft einen letzten langen Blick auf die schmale Gestalt unter den vielen Schläuchen, dann steht sie auf und nimmt Isas Arm. »Was sollen wir nur ohne dich machen?!«
Isa schüttelt sanft den Kopf. »Ich bleibe bei euch.«
Jenny nickt ihr zu. »Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute höre.«
Wir schleichen von der ITS und Jenny bekniet die Schwester, sie zu jeder Tages- und Nachtzeit anzurufen, wenn Paula Schwab zu sich kommt. Die Schwester wirft einen Blick in die Akte und schüttelt den Kopf. »Sie hat einen Peridualkatheter und soll zusätzlich bis morgen früh sediert bleiben. Sie wacht also heute Nacht garantiert nicht auf.«
»Wecken Sie mich trotzdem, falls irgendetwas passiert!«, befiehlt Jenny in einschüchterndem Ärztinnen-Tonfall und die Schwester nickt.
Wir verlassen das Krankenhaus, ich bin schrecklich müde. Ich weiß sehr wohl, was ich jetzt am liebsten täte – ich könnte eine Nummer anrufen, ein Taxi nehmen und in dem großen grauen Bett schlafen, auf das um sechs Uhr früh das erste Morgenlicht fällt. Aber ich sehe meine beiden Freundinnen an; ähnlich niedergedrücktvon dem, was ihnen bevorsteht, gehen sie wortlos nebeneinanderher. Ich entscheide mich, bei ihnen zu bleiben und komme mir sehr erwachsen vor.
»Es riecht nach Schnee«, sagt Isa und sieht zum dunklen Himmel hinauf und eine Sehnsuchtswelle schwappt über mir zusammen. Das kann es doch nicht sein, Lena, bist du so
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