Miss Emergency
entsetzlich romantisch. Eine Uhr schlägt. Mitternacht. Tobias sieht auf. »Soll ich dich nach Hause fahren?« Ich weiß nicht … Am liebsten möchte ich für immer hierbleiben. Aber vielleicht nicht gleich heute? Er merkt, dass ich unsicher bin, lächelt mich an. »Komm, ich fahr dich«, sagt er leise. Ich nicke. Das ist auf jeden Fall gescheiter. Während ich meine Jacke hole, öffnet er die Balkontür, draußen ist es plötzlich klirrend kalt.
Im Flur ziehe ich meine Jacke über und betrachte mich einen Moment im Spiegel. Bist du noch gescheit, Lena? Dass du jetzt heimfährst? Doch! Das ist das Allergescheiteste, was du tun kannst, sagt meine innere Vernunftstimme. Was macht er so lange? Komm und fahr mich heim, bring mich besser schnell aus deinem Einflussbereich! Ich trete wieder in den Durchgang zum Wohnzimmer, er ist nicht zu sehen. Soll ich die S-Bahn nehmen? Wenn er nicht wieder auftaucht, bis ich die Wohnzimmerschwelle übertreten habe, schleiche ich mich einfach raus. Ein schneller Schritt …
»Komm her, Lena!«, sagt er leise. Er steht auf dem Balkon, sieht hinaus. Ich trete neben ihn, er lächelt mich an. Die Luft istschneidend kalt und wie Glas. »Riechst du das?«, fragt er. »Gleich kommt der Schnee.« Tatsächlich, Schneeluft. Ich atme tief ein, herrlich. Viel zu früh im Jahr, das kann ausschließlich für uns gemacht sein. »Lass uns noch einen Moment warten«, sagt Tobias. Wir sind still, ich lehne mich an ihn. Und ganz langsam beginnt es zu schneien. Feine Flocken, sie bleiben nicht liegen, aber sie verzaubern die ganze Welt. Wir sehen zu, wortlos, ganz vertraut. »Bleib noch«, sagt er irgendwann leise.
Als der Morgen graut, ist von dem nächtlichen Schnee nichts mehr zu sehen. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, wo ich bin, graue Kissen, ein großes Fenster. Das Bett neben mir ist leer. Ich drücke mir das Kissen ins Gesicht, es riecht nach ihm. Ich fühle mich seltsam, war das nicht absolut falsch?! Und wo ist er, der mir jetzt das blöde Gefühl nehmen sollte? Schon aufgestanden, weil es ihn stört, mich in seinem Bett zu sehen? Und jetzt? Fahren wir zusammen in die Klinik, um uns dort wieder den ganzen Tag nicht anzusprechen? Oder war das das Ende? Fahren wir nie wieder gemeinsam irgendwohin?
Die Tür öffnet sich, gerade als ich beschlossen habe, aufzustehen. Tobias. Er lächelt, aber er kommt nicht herein. »Kaffee?«, fragt er. Ich nicke. Mehr kann ich nicht. Noch keine Stimme verfügbar. Er geht wieder hinaus, lässt die Tür offen. »Ich will in einer halben Stunde im Krankenhaus sein«, sagt er von draußen. Ich weiß nicht, was das für mich bedeutet. Soll ich mitfahren oder verschwinden? Ich muss nach Hause, mich umziehen, mich sammeln. Irgendwie begreifen, was hier los ist. Ich ziehe mich an, kein Spiegel im Schlafzimmer. Vielleicht besser so, ich wäre wohl gar nicht darin zu sehen. Nur ein Stück Haarschopf über dem unteren Rahmen. Denn ich fühle mich winzig klein, als ich das Wohnzimmer betrete, entsetzlich unsicher.
Er füllt Kaffee in eine wohlbekannte Thermoskanne, sieht überhaupt nicht anders aus als gestern. Warum nicht? Er schaut auf, entdeckt mich, füllt eine Thermotasse mit Kaffee. »Hier, für unterwegs.« Aha. Ich soll den Kaffee in der S-Bahn trinken, nur schnell seine Wohnung verlassen?
»Ich brauch keinen Kaffee«, sage ich leise, »bin schon weg.« Und endlich versteht er, wie es mir geht, kommt auf mich zu und umarmt mich.
»Du Spinnerin!«, erwidert er. »Wir müssen nur los. Ich trink den Kaffee immer im Auto.« Er hält mir die Thermotasse hin. »Komm, ich fahr bei dir vorbei.«
Kurz darauf sitzen wir mit unseren dampfenden Kaffebechern in seinem Wagen, er lenkt mit einer Hand, pustet in den Kaffee. Noch immer ist nichts über die vergangene Nacht gesagt worden – ist das normal? Wenn ich aufhören könnte, mich so komisch zu fühlen, würde ich diese morgendliche Autofahrt sicher herrlich finden. Die Stadt erwacht gerade, die Straßen sind noch leer, der gestrige Kurz-Schnee hat sich in Regen verwandelt, aber in einen gemütlichen, schweren, schneeverheißenden Regen. Der Kaffee duftet, Tobias sieht zu mir herüber, lächelt. »Alles okay?« Was könnte besser sein?! Dass er irgendetwas darüber sagt, was nun zwischen uns ist. Sonst alles bestens.
Er hält vor meinem Haus. Und jetzt? Aussteigen? Einfach so? Er legt eine Hand in meinen Nacken und ist endlich wieder bei mir. »Ich seh dich nachher!«, lächelt er verschwörerisch. Und
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