Miss Lily verliert ihr Herz
Podium, um über sein Spezialgebiet zu sprechen. Es fiel Lily schwer, sich auf den Vortrag zu konzentrieren. Widerstrebend gestand sie sich ein, dass sie am Ende ihrer Kraft war. Ihr Kopf schmerzte. Und als Mr. Keller, ein junger Wissenschaftler, sie fragte, ob sie mit ihm einen Spaziergang unternehmen wollte, sagte sie dankbar Ja.
Jack Alden fürchtete, er würde den Verstand verlieren. Und es war niemand anders als Lily Beecham, die ihn in den Wahnsinn trieb.
Er war so sicher gewesen, sich gründlich auf das Treffen mit ihr vorbereitet zu haben. Nachdem er beschlossen hatte, sich gegen ihre Anziehungskraft zu wappnen und sich lediglich wegen ihrer Verwandtschaft mit Matthew Beecham um sie zu kümmern, hatte er begonnen, sich verschiedene Szenarien in Bezug auf die Fahrt nach Chester House auszumalen. Er war davon überzeugt gewesen, nichts übersehen zu haben.
Doch dann war alles anders gekommen. Dass Lily so viele Bekannte aufgefordert hatte, an dem Ausflug teilzunehmen, hatte ihn eher amüsiert als geärgert. Es war sogar eine Erleichterung gewesen, nicht in derselben Kutsche mit ihr zu fahren. Am Ziel angekommen, hatte die junge Dame sich sofort voller Begeisterung der Ausstellung gewidmet.
Damit hatte Jack gerechnet. Er war auch nicht erstaunt darüber, dass sie alle Anwesenden zu bezaubern schien. Was ihn jedoch zutiefst verwirrte, war die Tatsache, dass sie ihn selbst kaum beachtete. Dabei hatte er fest darauf vertraut, sie problemlos dazu bringen zu können, ihm mehr von sich und ihrer Familie – insbesondere von ihrem Cousin Matthew – zu erzählen.
Er wusste natürlich, dass es ihm nicht so leichtfiel wie seinem Bruder, Menschen für sich zu gewinnen. Sein Vater hatte ihm oft genug gesagt, er solle sich ein Beispiel an Charles nehmen, der für jeden ein freundliches Wort und ein Lächeln hatte und deshalb schon als Kind überall beliebt gewesen war.
Und plötzlich war Jack, als höre er ganz deutlich das spöttische Lachen des verstorbenen Lord Dayle. Bei Jupiter, musterten ihn nicht auch Bradingtons Gäste mit kaum verborgenem Spott? Das Blut stieg ihm in die Wangen, und eine Woge aus Zorn und Beschämung überschwemmte ihn. Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte, und blickte unwillkürlich in Lilys Richtung. Diese verfluchte Frau war schuld daran, dass er sich so schlecht fühlte! Warum, zum Teufel, übersah sie ihn einfach? Warum konnte sie ihn nicht noch einmal so hingebungsvoll anschauen wie bei ihrem letzten Treffen?
Nur unter großer Mühe vermochte er die Beherrschung zu wahren. Zum Glück war er von den Dingen, die Bradington für die Ausstellung zusammengetragen hatte, so fasziniert, dass es ihn kaum anstrengte, darüber zu sprechen. Doch sobald sein Blick auf Miss Beecham fiel, spürte er wieder diesen Tumult der Gefühle. Es war nicht leicht, sich unter diesen Umständen allen gegenüber freundlich zu benehmen.
Später hielt er seinen Vortrag über König Artus’ Rechts system. Anschließend wurde er mit Fragen bestürmt. Während er sich bemühte, allen die gewünschten Auskünfte zu geben, sah er, wie Lily an Mr. Kellers Seite den Raum verließ. Er holte tief Luft, überwand den Wunsch, laut loszubrüllen, entschuldigte sich höflich bei den Umstehenden und folgte Miss Beecham und dem jungen Wissenschaftler.
Er fand die beiden ein Stück vom Haus entfernt. Dort, etwa in der Mitte des Gartens, hatte man einen von Zypressen, antiken Krügen und einzelnen Statuen gesäumten Weg angelegt. Lily und ihr Begleiter unterhielten sich und betrachteten dabei aufmerksam die alten Kunstwerke. Das heißt, Lily zeigte ein deutliches Interesse an den antiken Ton- und Steinarbeiten. Keller war ganz offensichtlich mehr an der jungen Frau interessiert.
„Mr. Keller“, rief Jack, „gut, dass ich Sie finde. Lord Bradington sucht nach Ihnen!“
„Ach?“ Der Angesprochene schaute nur kurz zu Jack hin, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Lily zuwandte.
„Er braucht jemanden, der ihm den Rücken stärkt. Anscheinend behauptet einer der Gäste, die goldene Gürtelschnalle in der Bibliothek sei nicht angelsächsischen Ursprungs, sondern von Wikingern hergestellt.“
„Was?“ Keller wirkte wie elektrisiert. „Welch ein Unsinn!“ Mit sichtlichem Bedauern schaute er noch einmal zu seiner Begleiterin hin. „Bitte, verzeihen Sie, Miss Beecham. Ich muss unserem Gastgeber zu Hilfe eilen. Kein Wikinger hat jemals eine solche Gürtelschnalle geschaffen. Wollen Sie mich begleiten?“
„Nein,
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