Miss Lily verliert ihr Herz
passiert!“, gab die Angesprochene zurück. „Wie hätte es anders sein können, wenn man so verrückte Ideen verfolgt wie ihr? Ja, ihr habt es euch selbst zuzuschreiben, dass es zu diesem Skandal gekommen ist!“
Mrs. Dawson, die ihre Schwägerin offenbar gut genug kannte, um nicht auf eine verständliche Erklärung aus deren Mund zu hoffen, wandte sich ihrem Gatten zu. „Ist alles in Ordnung?“
Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Du kommst besser einmal mit. Und du, Minerva, auch. Sie sollte ihren Verlobten in einer so unangenehmen Situation nicht allein lassen.“
Die junge Braut sah plötzlich sehr besorgt drein.
„Ihr werdet euch alle ruinieren“, meinte ihre Tante mit schriller Stimme. „Ihr …“
„Beruhige dich, Lucinda“, bat Mrs. Dawson.
Doch Jack hatte genug gehört, um das Schlimmste zu fürchten. Er wandte sich um und bahnte sich durch die Menge einen Weg zur Tür.
„Was, um Himmels willen, ist denn geschehen?“, erkundigte Minerva sich.
Die Stimme ihrer Tante triefte jetzt vor Schadenfreude. „Im Kartenzimmer hält einer dieser Frömmler eine Predigt über die Sünde des Glücksspiels. Und in der Eingangshalle versucht dein Verlobter, einen der Gäste davon abzuhalten, über Lord Danley herzufallen, der erklärt hat, er werde seine westindische Plantage niemals ohne Sklaven bewirtschaften.“
„O nein“, stöhnte Minerva. Sie wandte sich zu Lily um. „Kümmern Sie sich bitte um die Kinder?“
„Natürlich!“ Sie lächelte den Waisen zu. „Ihr habt eure Sache wirklich gut gemacht. Als Belohnung sollt ihr nun die Schokoladencreme bekommen, die wir euch versprochen haben. Gehen wir also nach oben!“
„Halt!“ Offenbar hatte Mrs. Whitcomb ein neues Opfer gefunden. Sie trat Lily in den Weg, funkelte sie böse an und rief: „Morgen wird man in allen Zeitungen lesen können, zu welch einer Katastrophe dieser Ball sich entwickelt hat. Und Sie tragen die Schuld daran!“
Lily wurde blass und brachte kein Wort über die Lippen.
Jack, der die Tür fast erreicht hatte, blieb beim Klang der schrillen Stimme stehen und drehte sich um. Bei Jupiter, er musste Lily zu Hilfe kommen!
„Statt sich im Hintergrund zu halten, wie es sich für eine anständige junge Dame gehört, haben Sie sich seit Tagen in den Vordergrund gedrängt! Mit diesem Ball sollte die Verbindung zweier achtbarer Familien gefeiert werden. Aber Sie mussten ein Spektakel für radikale Reformer und dreckige Waisen daraus machen!“
Wer sich noch im Musikzimmer befand, war stehen geblieben, um nur ja kein Wort zu verpassen. Während der gesamten Saison hatte es noch keinen so spannenden Zwischenfall gegeben. Ah, wie aufregend, wenn man einmal selbst Zeuge eines Skandals wurde!
Jack fluchte, weil niemand ihn durchlassen wollte. Dann sah er, dass noch jemand zu Lily und ihrer Widersacherin hinstrebte. Ein Mann mit Doppelkinn und breiten Schultern bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge.
„Hier bist du also, meine Liebe“, sagte er zu Mrs. Whitcomb, ehe er Lily abschätzend musterte. „Ist das die unverschämte Göre, von der du mir erzählt hast?“
„Lassen Sie mich durch!“, verlangte Jack, der vor Entrüstung zu zittern begonnen hatte. Lily brauchte seine Hilfe!
Doch es war seine Mutter, die eingriff. Niemals würde sie zulassen, dass jemand angegriffen wurde, den sie unter ihre Fittiche genommen hatte. Klar und deutlich übertönte Lady Dayles Stimme das Getuschel im Raum. „Lucinda Whitcomb, Sie haben für einen Abend genug Unheil angerichtet. Es ist an der Zeit, dass Sie sich zurückziehen!“
„Dies ist nicht Ihr Haus, Elenor Dayle“, war die wütende Antwort.
„Die Leute fragen sich schon“, fiel der Mann mit dem Doppelkinn ein, „ob Sie sich wieder einmal einen Schützling gesucht haben, um einen Ihrer Söhne zu verkuppeln.“
Einen Moment lang wurde es sehr still.
„Schluss jetzt!“, schrie Jack. „Es reicht!“
„Wie wahr!“ Mrs. Whitcombs Stimme klang jetzt wieder recht zufrieden. „Mir kann es ja auch gleichgültig sein, wenn Sie solche Emporkömmlinge wie die da“, sie wies auf Lily, „in Ihre Familie aufnehmen wollen.“
Jack holte tief Luft und setzte zu einem neuen Vorstoß an. Doch Mrs. Bartleigh kam ihm zuvor. Mit gestrafften Schultern und vor Entrüstung blitzenden Augen trat sie vor Minervas Tante und meinte kühl: „Schämen Sie sich nicht, vor unschuldigen Kindern eine solche Szene zu machen?“
Zur Überraschung aller Anwesenden legte Mr.
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