Miss Lonelyhearts
Schenkel.
«Wohin gehen wir?», fragte sie, als er sie davonführte.
«Einen trinken.»
«Ich kann nicht ins ‹Delehanty’s›. Die kennen mich da.»
«Dann gehen wir zu mir.»
«Darf ich das?»
Er brauchte nicht zu antworten, denn sie war schon auf dem Weg. Als er auf der Treppe zu seiner Wohnung hinter ihr herging, beobachtete er das Walken ihrer mächtigen Gesäßhälften; sie waren wie zwei riesige Mühlsteine.
Er machte zwei Highballs und setzte sich neben sie aufs Bett.
«Durch Ihren Job müssen Sie von Frauen allerhand verstehen», sagte sie mit einem Seufzer und legte ihm die Hand aufs Knie.
Immer war er der Verfolger gewesen, doch jetzt empfand er ein seltsames Vergnügen bei der Umkehrung der Rollen. Er fuhr zurück, als sie sich zu einem Kuss herüberreckte.
Sie fasste seinen Kopf und küsste ihn auf den Mund. Zuerst tickte es wie eine Armbanduhr, dann wurde das Ticken leiser und verdichtete sich zu einem Herzschlag. Jede Sekunde schlug es lauter und schneller, bis er meinte, es würde explodieren, und sich mit einem rüden Ruck entzog.
«Nicht doch», bettelte sie.
«Nicht doch was?»
«Ach, Schätzchen, mach das Licht aus.»
Er rauchte eine Zigarette, während er im Dunkeln dastand und lauschte, wie sie sich auszog. Sie machte Meeresgeräusche; etwas flappte wie ein Segel; Tauwerk knatterte; dann hörte er Gummi auf Fleisch klatschen wie eine Welle an den Kai. Ihr Ruf, schnell zu machen, war ein Meeresseufzer, und als er neben ihr lag, hob und senkte sie sich wie die Flut, mondgetrieben.
Etwa eine Viertelstunde später kroch er aus dem Bett wie ein erschöpfter Schwimmer aus der Brandung und ließ sich in einen großen Sessel am Fenster fallen. Sie ging ins Badezimmer, kam dann zurück und setzte sich auf seinen Schoß.
«Ich schäme mich», sagte sie. «Du musst mich für verdorben halten.»
Er schüttelte verneinend den Kopf
«Mit meinem Mann ist es nicht weit her. Er ist ein Krüppel, wie ich dir ja geschrieben habe, und viel älter als ich.» Sie lachte. «Er ist völlig ausgetrocknet. Seit Jahren ist er zu mir nicht mehr wie ein Mann zu seiner Frau. Lucy, meine Kleine, ist nicht von ihm, müssen Sie wissen.»
Er merkte, dass sie Erstaunen von ihm erwartete, und tat sein Bestes, die Augenbrauen zu heben.
«Das ist eine lange Geschichte», sagte sie. «Heiraten musste ich ihn nur wegen Lucy. Ich wette, du hast dich schon gefragt, wieso ich einen Krüppel geheiratet habe. Das ist eine lange Geschichte.»
Ihre Stimme war so einschläfernd wie ein Tamtam und genauso monoton. Sein Geist wie sein Körper waren schon im Halbschlaf.
«Das ist eine lange, lange Geschichte, und darum konnte ich sie nicht in einem Brief erzählen. Als die Doyles über uns in der Center Street wohnten, bin ich in Schwierigkeiten geraten. Immer war ich nett zu ihm und bin mit ihm ins Kino gegangen, weil er ein Krüppel war, obwohl ich in der Nachbarschaft eins der gefragtesten Mädchen gewesen bin. Also als ich in Schwierigkeiten geriet, habe ich nicht aus noch ein gewusst und ihn um das Geld für eine Abtreibung gebeten. Aber er hatte das Geld nicht, also haben wir stattdessen geheiratet. Es kam alles daher, dass ich mich mit einem dreckigen Südländer eingelassen hatte. Ich dachte, er ist ein Gentleman, aber als ich ihn bat, mich zu heiraten, hat er mich zur Tür hinausgeworfen und mir nicht mal das Geld für eine Abtreibung gegeben. Er sagte, mir Geld zu geben würde bedeuten, dass er Schuld hätte, und dann hätte ich etwas gegen ihn in der Hand. Hast du je von so einem Stinktier gehört?»
«Nein», sagte er.
Das Leben, aus dem heraus sie sprach, war noch schwerer als ihr Körper. Es war, als hätte sich ein riesenhafter, lebender Miss-Lonelyhearts-Brief in Form eines Briefbeschwerers auf sein Hirn gelegt.
«Als das Baby geboren war, habe ich an das Stinktier geschrieben, aber er hat nicht geantwortet, und vor etwa zwei Jahren habe ich mir überlegt, wie unfair es war, dass Lucy auf einen Krüppel angewiesen war und nicht zu ihrem Recht kam. Ich suchte mir seinen Namen im Telefonbuch heraus und nahm Lucy mit zu einem Besuch. Wie ich damals sagte, war es nicht so, dass ich etwas für mich selber wollte, ich wollte nur, dass Lucy kriegte, was ihr zustand. Na ja, nachdem er uns über eine Stunde in der Diele hatte warten lassen – ich kochte vor Wut, kann ich dir sagen, wenn ich daran dachte, was er mir und meinem Kind für ein Unrecht getan hatte – , führte uns der Butler in den Salon. Sehr
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