Miss Lonelyhearts
Fischköpfen, Netzfetzen.
Trunken vor Erschöpfung schlief er schließlich ein. Als er wieder wach wurde, fühlte er sich sehr schwach, aber ruhig.
Es klopfte schüchtern an die Tür. Sie war nicht abgeschlossen, und auf Zehenspitzen kam Betty ins Zimmer, die Arme voller Bündel.
Er tat, als schliefe er.
«Hallo», sagte er plötzlich.
Aufgeschreckt drehte sie sich um und versuchte eine Erklärung. «Ich habe gehört, dass du krank bist, darum habe ich heiße Suppe und noch einige andere Sachen gebracht.»
Er war zu müde, um sich über ihre naive kleine Bemutterung zu ärgern, und ließ sich von ihr mit einem Löffel füttern.
Als er mit dem Essen fertig war, öffnete sie das Fenster und zupfte das Bettzeug zurecht. Kaum war das Zimmer aufgeräumt, wollte sie gehen, doch er rief sie zurück. «Geh nicht, Betty.»
Sie zog einen Stuhl ans Bett und saß schweigend da.
«Es tut mir leid, was neulich passiert ist», sagte er. «Ich war wohl krank.»
Indem sie ihm half, sich zu rechtfertigen, zeigte sie, dass sie seine Entschuldigung annahm. «Das ist die Arbeit als Miss Lonelyhearts. Warum gibst du sie nicht auf?»
«Um dann was zu machen?»
«Einen Job in einer Werbeagentur oder etwas in der Art.»
«Du verstehst mich nicht, Betty. Ich kann nicht aufhören. Und selbst wenn ich aufhörte, liefe es auf das Gleiche hinaus. Ich könnte die Briefe nicht vergessen, was ich auch mache.»
«Vielleicht verstehe ich dich nicht», sagte sie, «aber ich glaube, du machst dich zum Narren.»
«Vielleicht kann ich es dir begreiflich machen. Fangen wir von vorne an. Ein Mann wird eingestellt, den Lesern einer Zeitung mit seinem Rat behilflich zu sein. Der Job ist ein Reklametrick zur Steigerung der Auflage, und die ganze Redaktion betrachtet ihn als Witz. Er nimmt den Job gerne an, weil er zu einer Klatschkolumne führen könnte, und sowieso hat er es satt, den Laufburschen zu spielen. Auch er hält den Job für einen Witz, aber nachdem er ihn ein paar Monate lang gemacht hat, wird der Witz immer unwitziger. Er sieht, dass die meisten Briefe tief demütige Bitten um moralischen und spirituellen Rat sind, sprachloser Ausdruck echten Leidens. Er entdeckt auch, dass seine Briefschreiber ihn ernst nehmen. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er gezwungen, die Werte zu prüfen, nach denen er lebt. Diese Prüfung zeigt ihm, dass er das Opfer des Witzes ist und nicht der, der ihn reißt.»
Obwohl er nüchtern gesprochen hatte, sah er, dass Betty ihn immer noch für einen Narren hielt. Er schloss die Augen.
«Du bist müde», sagte sie. «Ich gehe besser.»
«Nein, ich bin nicht müde. Ich habe nur das Reden satt; rede du eine Weile.»
Sie erzählte ihm von ihrer Kindheit auf einer Farm und von ihrer Tierliebe, von den ländlichen Geräuschen und Gerüchen und wie frisch und sauber auf dem Land alles ist. Sie sagte, er sollte dort leben, dann würde er merken, dass seine Sorgen samt und sonders Stadtsorgen seien.
Während sie noch sprach, platzte Shrike herein. Er war betrunken und erhob sofort ein großes Geschrei, als glaube er, Miss Lonelyhearts sei dem Tode zu nahe, um noch deutlich zu hören.
Betty ging, ohne sich zu verabschieden.
Shrike hatte offenbar etwas von ihrem Gespräch über das Landleben mitbekommen, denn er sagte: «Mein Bester, ich bin mit Betty einer Meinung, du bist ein Eskapist. Aber ich bin nicht ihrer Meinung, dass die Scholle für dich das Richtige wäre.»
Miss Lonelyhearts drehte den Kopf zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf.
Doch Shrike war nicht zu entkommen. Er wurde noch lauter und sprach durch die Decke auf Miss Lonelyhearts’ Hinterkopf ein. «Es gibt andere Methoden, und ich will sie dir zu deiner Erbauung beschreiben. Aber zuerst wollen wir die Flucht zur Scholle durchnehmen, so wie Betty sie dir empfohlen hat.
Du hast die Stadt und ihr Millionengewusel satt. Die Emsigkeit und Plackerei der Menschen, etwa das Geldverdienen, -borgen und -ausgeben, lassen dein Innenleben veröden, sind dir zu viel. Mit dem Bus dauert es zu lange, während die U-Bahn immer überfüllt ist. Was machst du also? Du kaufst dir eine Farm, gehst ohne Kragen und Krawatte hinter dem feuchten Hinterteil deines Pferdes her und pflügst deine breiten flotten Äcker. Während du den fetten schwarzen Boden umbrichst, weht der Wind den Geruch von Kiefern und Dung über die Felder, und der Rhythmus einer uralten Arbeit dringt dir in die Seele. Zu diesem Rhythmus säst du und weinst und treibst deine Rinder,
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