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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathanael West
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brummelte vor sich hin.
    Seine undeutlichen Geräusche ärgerten Mrs Doyle. «Was zum Teufel redest du da?», fragte sie.
    Der Krüppel begann einen Seufzer, der als ein Stöhnen endete, und sagte dann, als schäme er sich: «Bin ich nicht ein Kuppler, dass ich meiner Frau einen Kerl mit nach Hause bringe?» Er warf Miss Lonelyhearts einen flüchtigen Blick zu und lachte entschuldigend.
    Mrs Doyle war wütend. Sie rollte eine Zeitung zu einer Stange zusammen und hieb sie ihrem Mann über den Mund.
    Er überraschte sie, indem er den Narren spielte; knurrte wie ein Hund und schnappte die Zeitung mit den Zähnen. Als sie sie an ihrem Ende losließ, fiel er auf Hände und Knie und setzte die Vorstellung auf dem Fußboden fort.
    Miss Lonelyhearts versuchte den Krüppel zum Aufstehen zu bewegen und bückte sich, um ihm auf die Beine zu helfen; doch Doyle riss Miss Lonelyhearts’ Hosenschlitz auf, rollte sich auf den Rücken und lachte brüllend.
    Seine Frau versetzte ihm einen Tritt und wandte sich mit einem verächtlichen Schnaufer ab.
    Bald hatte der Krüppel sein Lachen aufgebraucht, und alle kehrten auf ihre Plätze zurück. Doyle und seine Frau saßen da und starrten einander an, während Miss Lonelyhearts von Neuem nach einer Botschaft suchte.
    Das Schweigen enervierte Mrs Doyle. Als sie es nicht länger aushalten konnte, ging sie zur Anrichte, um für alle noch einen Drink zu machen. Doch die Flasche war leer. Sie verlangte von ihrem Mann, aus dem Drugstore an der Ecke eine Flasche Gin zu holen. Der weigerte sich mit einem knappen barschen Kopfschütteln.
    Sie versuchte ihm zuzureden. Er beachtete sie nicht, und sie wurde wütend. «Hol eine Flasche Gin!», schrie sie. «Hol eine Flasche Gin, du Mistkerl!»
    Miss Lonelyhearts erhob sich. Seine Botschaft hatte er noch nicht gefunden, aber er musste etwas sagen. «Bitte streiten Sie sich nicht», flehte er. «Er liebt Sie, Mrs Doyle; deswegen führt er sich so auf. Seien Sie gut zu ihm.»
    Sie ächzte vor Zorn und ging hinaus. Sie konnten hören, wie sie in der Küche herumpolterte.
    Miss Lonelyhearts ging zum Krüppel hinüber und lächelte ihn auf die gleiche Art an wie in der Kneipe. Der Krüppel erwiderte das Lächeln und streckte die Hand aus.
    Miss Lonelyhearts ergriff sie, und so standen sie lächelnd und händchenhaltend da, bis Mrs Doyle wieder hereinkam.
    «Was seid ihr doch für ein süßes schwules Paar», sagte sie.
    Der Krüppel zog seine Hand fort und tat, als wolle er seine Frau schlagen. Miss Lonelyhearts war klar, dass jetzt die Zeit für seine Botschaft gekommen war. Es hieß jetzt oder nie.
    «Sie sind groß und kräftig gebaut, Mrs Doyle. Wenn Sie Ihren Mann in den Armen halten, können Sie ihm Wärme und Leben spenden. Sie können ihm die Kälte aus den Knochen vertreiben. Er schleppt seine Tage in Durchgängen und Kellern dahin und trägt eine schwere Bürde aus Müdigkeit und Schmerz. Sie können ihm diese Bürde durch einen Traum Ihrer selbst ersetzen. Einen hochgemuten Traum, der in ihm wie ein Dynamo wirken wird. Das können Sie tun, indem Sie sich von ihm im Bett erobern lassen. Er wird es Ihnen lohnen, indem er aufblüht und für Sie erglüht … »
    Sie war zu erstaunt, um zu lachen, und der Krüppel drehte sich weg, als sei ihm die Situation peinlich.
    Bei den ersten Worten schon hatte Miss Lonelyhearts gewusst, dass er sich lächerlich machen würde. Indem er Gott wegließ, hatte er die Kraft in seinem Herzen nicht entsiegelt und bloß eine Kolumne für seine Zeitung verfasst.
    Er machte noch einen Versuch, indem er hysterisch wurde. «Christus ist die Liebe», schrie er sie an. Es war ein theatralischer Aufschrei, aber er fuhr fort. «Christus ist die schwarze Frucht, die am Kreuzesbaum hängt. Der Mensch geriet in die Irre, als er die verbotene Frucht aß. Er wird erlöst, wenn er die gebotene Frucht isst. Die schwarze Christusfrucht, die Liebesfrucht … »
    Diesmal war er noch elender gescheitert. Miss Lonelyhearts’ Rhetorik hatte er durch die von Shrike ersetzt. Er kam sich vor wie eine leere Flasche, glänzend und steril.
    Er schloss die Augen. Als er den Krüppel «Ich liebe dich, ich liebe dich» sagen hörte, öffnete er sie wieder und sah, wie er seine Frau küsste. Er wusste, der Krüppel tat das nicht um der Dinge willen, die er gesagt hatte, sondern aus Loyalität.
    «Na schön, du Spinner», sagte sie von oben herab. «Ich verzeihe dir, aber jetzt gehst du zum Drugstore und holst eine Flasche Gin.»
    Ohne Miss

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