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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Männer nach ein paar beiläufigen Bemerkungen den Versuch auf. Stattdessen waren alle vollauf damit beschäftigt, sich warm zu halten; die Hände wurden tief in die Taschen geschoben, das Kinn in den hochgeschlagenen Kragen versenkt, und die Füße vergrub man im tiefen Stroh, das den Kutschenboden bedeckte. Und schon vor Stratford, wo sie zum ersten Mal Station machten, herrschte Stille, nur Allenbys dezentes Schnarchen war noch zu hören.
    Trotz der Stille, oder vielleicht gerade deswegen, blieb Holland wach. In der Dunkelheit bei eisiger Kälte konnte man gut anonym bleiben, denn man war keinen neugierigen Blicken ausgesetzt. Während er sich mehr und mehr entspannte, schweiften seine Gedanken ab. Verlust von Hab und Gut, Unterbrechung der Blutlinie … Mary Finch hatte davon gesprochen, das Blut einer Person könne schlecht sein. Holland nahm an, dass man seine Blutlinie bereits als schlecht einschätzte und er Susannah deshalb nicht bekam - das hieß, wenn er sie überhaupt wollte, und wer sagte eigentlich, dass das der Fall war?
    Es gibt also schlechtes Blut , überlegte er, aber blaues Blut ist angesehen … höchst wünschenswert . Bon sang: So nannten es die Franzosen, obgleich sie jetzt vielleicht nicht mehr so viel Wert darauf legen. Der französische König hatte blaues Blut gehabt, doch was hatte es ihm schon genützt? Aber die Froschfresser … waren schon ein äußerst seltsamer Menschenschlag.
    Charlotte sollte Französisch lernen, und Holland musste lächeln, als ihm wieder in den Sinn kam, wie sie sich aus tiefstem Herzen darüber beklagt hatte. »Sicherlich ist es geradezu Verrat, Französisch lernen zu müssen, wo wir uns doch mit ihnen im Krieg befinden. Und obendrein ist es so furchtbar schwierig. Ich weiß nicht, wie überhaupt jemand es schafft, diese Sprache zu lernen, wenn er nicht von Geburt an schon Franzose ist. Die Leute reden immer über le mot juste - das ist ein französischer Ausdruck, musst du wissen -, aber beim Sprechen muss man so viel mehr richtig machen, als nur die richtigen Wörter zu verwenden. Da gibt es dann noch die Akzente und vieles mehr … und wer nur einen Buchstaben falsch ausspricht, hat schon gleich etwas ganz anderes gesagt, ganz anders als im Englischen!«
    Ein falscher Buchstabe … ein schlechter Buchstabe … falsche Wörter, wie jemand und jemandem, also gar nicht so anders als im Englischen. »O Bobs, du bist so ein dummer Mistkerl« … Aber sicher hätte Lottie niemals »Mistkerl« gesagt … Schließlich schloss auch er die Augen.
    Als der Kondukteur kurz in sein Horn blies und energisch auf das Kutschendach klopfte, schreckte er hoch. »Chelmsford, meine Herren.«
    Mr. Allenby wachte auf; er musste hier aussteigen. Nachdem die Kutsche im Hof des Black Boy zum Stehen gekommen war, tastete er im Dunkeln nach seinem Hut, den Handschuhen und der Tasche zu seinen Füßen. Die Pferde, die sich nach dem Stall sehnten, trabten weiter, noch bevor man ihnen das Zaumzeug abgenommen hatte. Der hierdurch ausgelöste heftige Ruck warf Mr. Allenby auf den Sitz zwischen Holland und Jacobson. Letzterer fragte schläfrig: »Wo sind wir? Etwa schon angekommen?«
    »Nein«, erwiderte Holland und half Allenby zurück auf seinen eigenen Sitz. »Bis London sind es noch vier Stunden.«
    Ingatstone. Brentwood. Rumford. Stratford. Während die Kutsche durch Mile End rollte, setzte sich Mr. Jacobson auf und betrachtete nun ganz interessiert die Gegend. Er spähte aus dem Fenster und nahm die beginnende Morgendämmerung wahr. Nun war es möglich, ihr Vorankommen anhand der vorbeiziehenden Gegenden zu ermessen: Die Ruhe im Umkreis des London Hospital wurde vom Getöse der Glockengießerei am anderen Ende der Whitechapel Road abgelöst. Man sah Polstererwerkstätten und Buchhändler in der Fenchurch Street, und der strenge Geruch von Schlachtvieh ließ darauf schließen, dass sie sich dem Leadenhall Market näherten. Als sie an der St. Dionis Backchurch vorbeifuhren, merkte Déprez an, wie seltsam es doch sei, in London auf eine Kirche zu stoßen, die einem französischen Heiligen geweiht ist. Holland zuckte die Achseln, aber Jacobson teilte ihnen mit, sie seien auch nicht weit von der berühmten Bevis-Marks-Synagoge entfernt. »Die von einem Quäker erbaut wurde«, fügte er als weiteres Detail hinzu.
    Die Kutsche hielt schließlich am Hauptpostamt. Im Hof herrschte ein dichtes Gedränge von Pferden, Postjungen und Kutschen. Aus Letzteren quollen jede Menge Passagiere und

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