Miss Mary und das geheime Dokument
wäre sie auf eigene Faust gefahren!«
»Nach London? Ach du lieber Gott, ganz schön mutig«, meinte Déprez.
»Ja, nun … Ich dachte, wir wären es ihr schuldig.«
»Mag sein.Vielleicht waren wir das.« Déprez blickte nun aus dem Fenster. Neben ihnen tauchte der Tower auf. Selbst morgens bei stahlblauem Himmel sah er düster und imposant aus. Das Gespräch mit Holland kam ihm wieder in den Sinn … das Traitor’s Gate. Gefürchtete Verbrecher brachte man durch dieses Tor über das Wasser in den Tower. Dann kurbelte er das Fenster herunter. Vier ungewaschene Männer sorgten für schlechte Luft. Zudem verströmte auch die Droschke selbst einen beißenden, höchst unangenehmen Geruch, als ob ein vorheriger Passagier noch weit unzuträglichere Säfte ausgeschieden hatte.
»Und dann war es ganz hilfreich, sie hierzuhaben«, fuhr Hicks indessen fort. »Hudson - Mr. Hudson - war nicht leicht zu überzeugen, aber als sie die Dokumente übertrug, die ich ihm gleich zu Anfang gegeben hatte, und Hollands Namen darin sah, siegte bei ihm die Vernunft.«
»Hm-m, ja«, pflichtete Déprez ihm bei. »Gut gemacht.«
Während er redete, fuhr die Droschke langsamer und bog in eine schmale Gasse ein. Déprez schaute aus dem Fenster und nickte dann. »Hier ist es, Gentlemen, das Mace & Cells. Meiner Ansicht nach ein ganz angemessener Name für Captain Hollands Aufenthaltsort.« Als der Wagen anhielt, öffnete er die Tür. »Kommen Sie. Unsere Freunde sind bereits eingetroffen.«
Die Constables drängten aus dem Wagen, sodass die beiden einen kurzen Augenblick unter sich waren. »Ach, diese verdammte Pfeife«, murrte Déprez, als ein ohrenbetäubender Trillerton durch die ganze Gasse zu hören war, und dann noch einmal. »Können die denn nichts ohne Lärm machen? Wir sollten besser schauen, was los ist.«
Mehrere Constables drängten sich um die Eingangstür des Mace & Cells. Déprez stieg aus der Kutsche und fragte, was geschehen sei. Als er jedoch sah, dass Hudson sich einen Weg durch die Menge bahnte, ging er schnell auf ihn zu. »Was ist passiert?«, rief er.
Auch Hudson kam ihm entgegengelaufen. »Holland ist geflüchtet!«
Einen kurzen Moment standen sie nebeneinander. »Was?«, fragte Déprez. »Was haben Sie …« Dann ließ er ihn einfach stehen und rannte so hastig los, dass er auf dem verdreckten Kopfsteinpflaster ins Straucheln geriet. In Windeseile war er im Haus und erklomm die Treppenstufen. In dem kleinen Raum unter dem Dach fand er alles verwüstet vor: umgestoßene Stühle, eine zerschmetterte Waschschüssel. Und von Rede keine Spur. Die Matratze befand sich halb auf dem Bettgestell und halb auf dem Fußboden. Bettlaken und Tagesdecke lagen durcheinander auf einem Haufen. Captain Hollands Mantel war noch da, auch die ausgefransten Seilstücke, mit denen man ihn gefesselt hatte. Er selbst aber nicht.
Auf der Stelle ordnete Hudson an, die Männer sollten das gesamte Gebäude und die Nachbarschaft bis in den letzten Winkel durchsuchen. Holland konnte nicht viel Vorsprung haben, potztausend, und dazu war er noch verletzt! Weit konnte er noch nicht gekommen sein.
Wenigstens hoffte Hudson dies. Er blickte die Gasse entlang. Schon allein das hier war ein gottverdammtes Labyrinth. Hier gab es tausend Möglichkeiten, wo sich jemand auf der Flucht versteckt halten konnte. »Sergeant Harris! Stellen Sie sicher, dass auch die Dachkammern durchsucht werden.«
Dann wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Tumult in einem der benachbarten Gebäude gelenkt. Schreie und dumpfe Schläge waren zu hören, eine Tür flog auf, und eine große, knochige Frau mit zerzausten roten Haaren stürzte in einem mehr oder minder zerlumpten Kleid auf die Straße. Sie fluchte heftig, während zwei Constables sie zu bändigen versuchten. »Da ist ein Hurenhaus, Sir, unterm Dach«, rief der eine. »Wir dachten, er hält sich da oben vielleicht versteckt und....«
»Sie haben kein Recht dazu!«, schrie die aufgebrachte Madame und drosch mit einem verknoteten Unterrock - so sah es zumindest aus - auf einen der Constables ein. »Wir haben nix nicht angestellt!«, rief sie, während ihre Hiebe auf Kopf und Schulter der Polizisten hagelten. »Lasst uns gefälligst in Ruhe!«
»O Gott«, murmelte Hudson. »Schon gut, schon gut. So beruhigen Sie sich doch!«
Während Hudson zu der Frau lief, um für Ruhe zu sorgen, winkte Déprez Hicks unmerklich zu sich und zog ihn beiseite. Dann flüsterte er ihm zu, alles liefe nach Plan, und Holland sei
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