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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Schultern. »Aber dann wiederum ist er vielleicht zu krank für eine Überfahrt und könnte daher irgendwo in der Stadt untertauchen, in einem sicheren Haus.«
    »In einem sicheren Haus?«, wiederholte Mary.
    »An einem geschützten Rückzugsort, wo man ihn verstecken kann und Freunde sich um ihn kümmern, bis er sich wieder zeigen kann, ohne dass sein unnatürlicher Gang auffällt. Vermutlich haben sie so einen Ort. Diese Bande scheint sich nicht mit halben Sachen zufriedenzugeben. Das wäre nicht weniger übel für uns. London nach einem sicheren Hause zu durchkämmen ist nicht besser, als nach einer verdammten Nadel im Heuhaufen zu suchen. Außerdem können meine Männer sich nicht ewig nur mit diesem einen Fall beschäftigen und warten, bis etwas passiert.«
    »Nein, natürlich nicht«, stimmte Déprez ihm aufrichtig zu. Auch bei seiner nächsten Bemerkung war sein Tonfall nicht voll und ganz vorgetäuscht, denn es brachte nichts, hier vor der Tür mit Mary Finch im Schlepptau kostbare Zeit zu vergeuden. »Hudson, wenn wir Captain Holland aufspüren wollen, müssen wir unverzüglich entscheiden, wie wir vorgehen wollen. Vielleicht können wir …«
    Mary bemerkte seine leichte, fragende Geste und wandte sich an Hudson: »Was haben Sie denn nun vor?«
    Déprez’ Gesicht verzerrte sich, als Hudson erklärte, man wolle die verbleibenden verschlüsselten Dokumente übertragen, da man hoffe, so mehr über die Bande zu erfahren. Das Gespräch nahm einen für Déprez unerwünschten Verlauf, denn er wusste nicht, was dabei herauskommen würde, abgesehen davon, dass die Gefahr nun immer realer wurde. Marys nächste Frage war noch beunruhigender.
    »Erlauben Sie mir, Ihnen dabei behilflich zu sein?«
    »Aber Miss Finch, ich glaube ehrlich gesagt...«, hob Déprez an und schüttelte dabei den Kopf, doch Mary unterbrach ihn, indem sie eifrig auf Hudson einredete.
    »Bitte«, drängte sie, »ich habe schließlich auch die anderen Papiere übersetzt, das wissen Sie doch. Lassen Sie mich meine Arbeit beenden. Ich würde so gerne etwas Nützliches tun.«
    »… dass Sie sich nicht so verausgaben sollten.« Déprez’ Satz endete mit einem Gemurmel. Das Gesagte kam ihm ganz intuitiv über die Lippen, aber ohne dass er daran glaubte, es könnte eine Wirkung zeitigen. Im nächsten Augenblick wog er ab, was Mary gesagt hatte, und kalkulierte, wie gefährlich ihr Angebot sein konnte. Die Gefahr war erheblich, schlussfolgerte er und atmete langsam aus, um sich selbst zu beruhigen. Sehler, du Dummkopf, warum hast du die Papiere nur nicht vernichtet? Es war der helle Wahnsinn, so kurz vor dem Ziel gezwungen zu sein, derartig Spießruten zu laufen, denn er bezweifelte stark, dass Hudson trotz seiner schroffen Art Marys Bitte ausschlagen würde.
    »Ich bin ganz und gar nicht müde!«, versicherte Mary ihnen nun. »Drei Köpfe sind doch sicherlich besser als zwei, und vermutlich kann ich die Entschlüsselung schneller vornehmen als Sie beide.«
    »Ja, da haben Sie vermutlich recht«, grummelte Hudson. »Nun, dann kommen Sie bitte mit.«
    Schon bald hatten sie sich wieder in Hudsons Arbeitszimmer niedergelassen. Mary nahm auf ihrem Stuhl Platz, auf dem nun nicht mehr Hudsons störender Mantel lag. Déprez dagegen saß am anderen Ende des Schreibtischs, nahe dem Kamin. Alle drei hatten ein aufgeschlagenes Exemplar der Kommentare vor sich liegen. Die restlichen Bände, eine angezündete Kerze und ein kleiner Stoß verschlüsselter Papiere lagen ebenfalls auf dem Schreibtisch. Hudson hatte seinen Stift zur Hand genommen, übersetzte jedoch nicht: sei es, weil ihm hierzu der Platz oder die Fähigkeit fehlte. Stattdessen beobachtete er lediglich, wie Mary und Déprez arbeiteten.
    Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es sicherlich klug war, Marys Bitte nachgekommen zu sein. Während Déprez zeitweilig fast überhaupt nicht vorankam, bewegte Mary ihre Hand geschwind über die Bögen und verwandelte das verschlüsselte Kauderwelsch in verständliche Worte. Mehrmals hielt Déprez ganz in seiner Arbeit inne, um Mary zuzusehen. Sobald sie ein Dokument entschlüsselt hatte, griff er danach und überflog den Inhalt, noch bevor Hudson ihn zu Gesicht bekommen hatte. »Langsam«, beklagte Hudson sich, als Déprez vor lauter Hast fast die Kerze umgestoßen hätte.
    Wenn Mary Déprez’ Verhalten in irgendeiner Weise als merkwürdig empfunden haben mochte, so ließ sie sich dies zumindest nicht anmerken. Ganz im Gegenteil: Sie sprach mit äußerst
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