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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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ruhiger Stimme, als sie aufsah, um zu fragen: »Mr. Hudson, können Sie mir sagen, wo sich die Orchard Street befindet? Gibt es in London eine Straße dieses Namens?«
    »Wie bitte?«, fragten die beiden Männer noch einmal nach.
    Sie wiederholte ihre Bitte und schob das Papier, an dem sie gerade arbeitete, über den Tisch Déprez zu.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Hudson langsam, dann hielt er inne. »Haben Sie etwas gefunden? Es könnte sein … Ja, ich glaube, es gibt eine Orchard Street in Marylebone, in der Nähe der Edgeware Road. Was genau haben Sie gefunden?«
    »Ein Haus in der Orchard Street wird genannt«, antwortete Mary noch immer mit ruhiger Stimme. »Sagten Sie nicht, man hat Mr. Sehler in Marylebone umgebracht?«
    Hudson schnappte nach dem Papier, ohne zu bemerken, dass Déprez das Blut ins Gesicht schoss. »Lassen Sie mich das mal sehen.«
    »Glauben Sie, es lohnt sich, dort Nachforschungen anzustellen?«, fragte sie und blickte dabei erst den einen, dann den anderen Mann an. »Der Zusammenhang liegt nicht auf der Hand, aber...«
    »Natürlich lohnt sich eine Überprüfung«, sagte Hudson, dessen Irritation sich plötzlich in Eifer gewandelt hatte. »Ich bin drauf und dran, meine alte Großmutter zu verhaften, wenn ihr Name in diesen verdammten Dokumenten stehen würde!«
    »Vielleicht hat Mr. Déprez schon einmal etwas von der Orchard Street gehört«, fuhr Mary fort. »Bei früheren Untersuchungen, meine ich.«
    Trotz einer gewissen Routine im Umgang mit brenzligen Situationen schlug Déprez das Herz bis zum Hals. Als er sie über den Schreibtisch hinweg ansah, beruhigte ihn allerdings ihr Gesichtsausdruck. Von einem Vorwurf war darin nichts zu lesen, dessen war er sich sicher. Ihre Frage war nur folgerichtig, schließlich war sie eine kluge Frau. Mehr war da nicht. Er schüttelte den Kopf, als versuchte er sich zu entsinnen. »Nein, ich erinnere mich nicht daran, diese Adresse schon einmal gehört zu haben.«
    Hudson erschütterte dies keineswegs. »Nein? Nun, das ist doch trotzdem schon was«, rief er. »Die Verbindung mit Marylebone könnte wichtig sein. Machen Sie nur weiter so, Miss Finch. Sie geben uns Hoffnung!«
    »Ja«, echote Déprez. »Hoffnung. In der Tat.« Orchard Street, sonst nichts, hielt er sich immer wieder vor Augen , das ist doch gar nicht so schlimm.Was ist schon dabei, wenn Sehler in Verbindung mit der Orchard Street gebracht wird?Wir werden trotzdem Erfolg haben, solange dies die einzige Indiskretion bleibt. Und es verbleiben ja nur noch zwei Dokumente.
    Mary fuhr mit ihrer Arbeit fort und lieferte bald die zwei letzten Übersetzungen. Dabei handelte es sich um kurze Botschaften: In einer ging es um die Bezahlung, und in der anderen wurde nach dem Datum für ein Treffen gefragt. Ob es dabei um die Verschwörer oder ihre Beute ging, war indes nicht auszumachen. Keines der beiden Dokumente war besonders interessant oder aussagekräftig. Sie legte ihren Stift beiseite und beobachtete die beiden Männer. Dabei nahm sie wahr, was sich auf ihren Gesichtern spiegelte: Interesse, Besorgnis, Frustration und … Erleichterung?
    Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich Déprez und stellte sich vor den Kamin. Als er sich wieder umdrehte, lag ein Schatten auf seinem Antlitz, und sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, egal, ob er etwas vortäuschen wollte oder nicht. Sie seufzte und streckte sich. Dabei dachte sie bei sich, dass sich dies als kein sehr einträgliches Unterfangen herausgestellt hatte. Aber was hatte sie auch erwartet? Und was würde nun geschehen? Sie hatte etwas in Bewegung gesetzt, das sie möglicherweise nicht mehr würde steuern können. Aber blieb ihr denn eine andere Wahl? Bevor sie auf diese Fragen eine Antwort gefunden hatte, äußerte sie den anderen gegenüber ihre noch offenkundigeren Bedenken.
    »Diese Papiere von Mr. Sehler bringen uns kein Stück weiter, was Captain Holland anbelangt.«
    »Nein«, musste Hudson zugeben. Dass sie nach der Entdeckung der Orchard Street nicht weiter vorangekommen waren, hatte ihn ziemlich entmutigt. Jetzt musste er sich über die Verteilung von Polizeitruppen über die gesamte Hauptstadt Gedanken machen und wie er eine gründliche, aber wahrscheinlich erfolglose Suchaktion auf die Beine stellen konnte.
    »War aber doch der Mühe wert, diese Übersetzungsarbeit«, meinte Déprez. »Bei einer solchen Angelegenheit müssen wir jedem Hinweis nachgehen und dürfen nichts dem Zufall überlassen.«
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