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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Hände eines Advokaten gelegt wird - nicht dass ich Mr.Todd auch nur im Geringsten verunglimpfen möchte, obgleich er selten den Gottesdienst besucht -, dann passiert eben so etwas. Wir dachten nämlich alle - also wir nahmen an -, dass der arme Mr. Finch keine Verwandten hat. Ich bin sicher, darüber bestand keinerlei Zweifel.« Mr. Hunnable nickte, doch dann fügte er hinzu, als sei ihm bewusst geworden, dass seine Worte verletzend geklungen haben könnten: »Aber selbstverständlich bin ich sehr glücklich darüber, mich in diesem Punkte geirrt zu haben.«
    »Ja, Sir, danke.« Nur mit Mühe gelang es Mary, ihre Stimme gleichmütig zu halten. Holland verdrehte die Augen und rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Sie wagte es nicht, zu ihm hinüberzusehen, aus Angst, ihre Blicke könnten sich treffen.
    In diesem Augenblick klopfte es, und Peggy tauchte im Türrahmen auf. »Mr. Somerville für Sie, Ma’am.«
    Die Stimmung im Raum änderte sich durch diese Ankündigung schlagartig. »Ach, endlich«, rief Mrs. Tipton aus, und Captain Holland erhob sich, um nicht einen, sondern gleich zwei Ankömmlinge mit Handschlag zu begrüßen. Der erste war der Friedensrichter höchstpersönlich, ein stattlicher, rotgesichtiger und reichlich überschwänglicher Mann. Seine Kleidung, ein flaschengrüner Gehrock mit Goldknöpfen sowie eine gelb gestreifte Weste, machten einen ebenso aufdringlichen Eindruck wie er selbst. Der zweite war ein groß gewachsener dunkelhäutiger Gentleman, etwas jünger und zugleich modischer gekleidet. Er wirkte fremdländisch, und dies bestätigte sich, als Mr. Somerville ihn als Mr. Paul Déprez vorstellte. Er war erst kürzlich von St. Lucia auf den Westindischen Inseln eingetroffen und wohnte derzeit in Woolthorpe Manor, dem Anwesen der Somervilles.
    »Hoffentlich überfalle ich Sie nicht gar zu sehr, meine Damen«, entschuldigte sich Déprez mit Blick auf Mary und Mrs. Tipton. »Aber die gestrigen Ereignisse, von denen mir mein Freund Somerville berichtete, haben mich so gefesselt, dass ich mir die Freiheit nahm, Ihre Einladung an ihn auf mich auszudehnen.«
    Mrs.Tipton versicherte ihm, dass dies völlig in Ordnung sei, und sagte nach einem kurzen, prüfenden Blick, sie habe gehört, die Westindischen Inseln seien bekannt für den Zuckerrohranbau, und ob er dort eine Besitzung habe? Mr. Déprez bestätigte, dort eine Zuckerrohrplantage besessen zu haben - und die hätte er wohl immer noch, wäre sie nicht durch die derzeitigen Kriegshandlungen zerstört worden. Er wolle die Amtspflicht seines Freundes nun jedoch nicht weiter stören; daher setzte er sich abseits auf einen Stuhl neben Mr. Hunnable und bedeutete den Anwesenden mit einer Geste, dass er an der weiteren Unterhaltung nicht teilzunehmen gedenke.
    »In der Tat«, bestätigte Mr. Somerville mit einem Kopfnicken, »meine Amtspflicht.« Er baute sich vor dem Kamin auf und schirmte damit wirksam die wenige Wärme ab, die das spärliche Feuer in den Raum abgab. Dann fing er mit kampfeslustigem Stirnrunzeln an zu sprechen: »Wenn es eines gibt, was ich nicht dulden kann - nun, eigentlich sind es zwei Dinge -, dann ist das Schmuggel in Kriegszeiten und republikanische Umtriebe. Man sehe sich nur an, wohin dieser Unfug die Franzosen gebracht hat. Und der Schmuggel ist nicht minder unheilvoll, denn er spielt ebendiesen verfluchten Republikanern in die Hände.«
    »In der Tat äußerst beunruhigend«, murmelte Mr. Hunnable.
    »Seit über zehn Jahren spiele ich nun schon dieses Versteckspiel mit den Schmugglern«, fuhr Mr. Somerville fort, »nur um jetzt erfahren zu müssen, dass sie die … die Dreistigkeit besitzen, in das Haus eines ehrenwerten Gentleman einzubrechen, der kaum kalt im Grabe … Ähm, ich bitte vielmals um Verzeihung, Miss Finch. Ich meinte nur … nun, es ist schlichtweg ungeheuerlich.«
    »In der Tat, Sir«, erwiderte Mary errötend, da sich alle Blicke ihr zuwandten. »Waren Sie … näher bekannt mit meinem Onkel?«
    »Ich würde nicht so weit gehen, es eine Freundschaft zu nennen«, entgegnete Mr. Somerville. »Er war ein verschlossener Mann - lebte sehr zurückgezogen. Habe ich nicht recht, Ma’am?«
    Mrs. Tipton runzelte die Stirn und wandte sich unmerklich ab, wie um sich die mit dröhnender Stimme vorgetragene Frage vom Leib zu halten. »Ja, das entspricht wohl der Wahrheit. Und das rührte daher, dass Mr. Finch ein ausgesprochener Büchernarr war. Außer seinen Büchern interessierte ihn wenig, und nicht viele

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