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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Menschen möchten ihren gesellschaftlichen Umgang ganz auf literarische Disputationen beschränken. Sie täten gut daran, sich das hinter die Ohren zu schreiben, Mary«, fügte sie hinzu, als beziehe sie sich auf eine zuvor geäußerte Schwäche von Mary.
    »Ich hatte die Ehre, Mr. Finch kennenzulernen, kurz nachdem ich hier in die Gegend kam«, warf Déprez ein und neigte höflich seinen Kopf in Marys Richtung. »Und ich fand in ihm einen sehr geistreichen, gebildeten Gentleman, der trotz seines bedauerlichen Gesundheitszustands in jeder Hinsicht eine sehr angenehme Gesellschaft bot.«
    »O ja, zweifellos«, erwiderte Mr. Somerville, »obgleich nicht mehr der Jüngste, war er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte … Aber verzeihen Sie mir, meine Damen, ich denke, wir sollten die … Lobreden auf ein andermal vertagen. Ich schlage vor, umgehend nach White Ladies aufzubrechen und den … Ort des Geschehens einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Weitere Einzelheiten können wir ja unterwegs besprechen.«
    »Wohl wahr«, stimmte Mrs. Tipton ihm zu und befand insgeheim, dass Konversation nicht unbedingt Mr. Somervilles Stärke war. »Zweifelsohne ist eine genaue Untersuchung vonnöten.«
    Captain Holland und Mr. Déprez sollten den Friedensrichter begleiten, und zwei der drei Männer waren äußerst verblüfft, als Mary schüchtern darum bat, auch mitkommen zu dürfen. Mr. Somerville blieb vor Staunen der Mund offen stehen, er gab jedoch zu, es könne eigentlich nicht schaden. Und da ihre Anwesenheit das Vorhaben überdies in eine Art vergnügliche Ausflugsfahrt verwandeln würde, dehnte er die Einladung gleich auch noch auf Mr. Hunnable aus.
    »Oh, ich …«
    »Bestens, großartig«, rief Mr. Somerville begeistert aus. Er schlug Mr. Hunnable kameradschaftlich auf die Schulter, wobei er dessen Teller und Serviette in Mitleidenschaft zog. Gleich danach war er draußen auf dem Korridor zu hören, wie er Peggy um Hut und Mantel bat.
    Alle setzten sich dicht gedrängt in Mr. Somervilles Kutsche, Mr. Hunnable zwischen Mary und Déprez, Holland und Mr. Somerville ihnen gegenüber. In Bath hatte Mary schon prächtige Wagen gesehen, war aber noch nie in einem gefahren. Nun überkam sie wieder dieses Gefühl, als sei sie in einem Märchen. Mr. Somerville entsprach zwar nicht ganz ihrer Vorstellung von einem Prinzen, aber seine Kutsche war gepolstert mit hellen, herrlich weichen Ledersitzen, und draußen warteten ein Kutscher und ein Hausdiener in blau-silberner Livree auf das Signal zur Abfahrt. Und das erfolgte umgehend durch einen kräftigen Schlag von Mr. Somervilles Spazierstock. Sobald sich die Räder drehten, begann der Friedensrichter mit seiner Befragung. Er wollte wissen, wie Mary und Holland überhaupt nach White Ladies gekommen waren und was sich dort nach ihrer Ankunft genau zugetragen hatte. Mary beantwortete die meisten seiner Fragen. Da alle sich für ihren Bericht zu interessieren schienen, legte sich ihre Nervosität allmählich, und nach einer Weile fühlte sie sich sogar ganz wohl. Das Gefühl, in einem Märchen zu sein, verblasste indes nicht, vielmehr kam es ihr vor, als gehörte sie tatsächlich da hinein.
    Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, empfand sie als recht angenehm, und als ihr Bericht sich dem Ende zuneigte, bedauerte sie dies sogar ein wenig. Sobald Mr. Hunnable den Anschein erweckte, als wolle er etwas sagen, sprach sie daher einfach weiter und erwähnte ohne besonderen Grund auch die ernsten Warnungen, die man ihr und Holland gegenüber bezüglich des Zustands der Küstenstraße hatte verlauten lassen. Mr. Somerville schüttelte abschätzig den Kopf. »Diese Kutsche«, versicherte er ihr, »ist viel leichter, als sie auf den ersten Blick aussieht. Leicht, aber robust. Das Schaukeln beunruhigt Sie doch nicht etwa, Miss Finch? Manch einer empfindet es leider eher als unangenehm.«
    »O nein.«
    »Und vermutlich kann man uns schon aus dem Graben ziehen, wenn nötig.« Die Kutsche machte plötzlich einen Satz, woraufhin Mr. Somerville brüllte: »He da vorn, nicht so stürmisch!«, und heftig mit seinem Spazierstock an die Kutschendecke pochte. Dann zog er seine Perücke wieder zurecht und fuhr fort: »Wissen Sie, Miss Finch, dieser Tracey interessiert mich. Wir hätten wohl eine Menge erfahren, wenn er nur am Leben geblieben wäre. Ich glaube, Sie haben nie mit ihm gesprochen, nicht wahr, Captain Holland?«
    »Nein, Sir.« Etwas in Hollands Tonfall, eine gewisse Unsicherheit, fiel Mary

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