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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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hier kurz nach der Beerdigung. Sie war keine Einheimische, müssen Sie wissen.« Die Haushälterin stammte seinen Ausführungen zufolge aus dem fernen Sudbury und war erst seit zehn oder elf Jahren in Mr. Finchs Diensten gewesen. Daher überraschte es kaum jemanden, dass sie zu ihren eigenen Leuten zurückkehren wollte, als diese berufliche Verpflichtung nicht mehr bestand. In Lindham hatte man sie stets als Fremde gesehen, und sie war daher immer wieder harschen Unterstellungen ausgesetzt gewesen.
    »Unterstellungen welcher Art?«
    Die Nachfrage und die Art, wie Mary sie ohne Umschweife vorbrachte, stürzte Mr. Hunnable sichtlich in Verwirrung. »Vermutlich dahingehend, dass sie sich nicht wie eine Einheimische, sondern wie eine Fremde gebärdete. An Orten wie diesem, wo die Einheimischen nur wenig von der Außenwelt wissen, ist so etwas nicht unüblich.«
    »Kennen Sie das auch aus Ihrer eigenen Erfahrung, Sir, als Sie in diese Gemeinde kamen? Aber vielleicht sind Sie selbst ja aus Lindham gebürtig?«
    Mrs.Tipton ließ ein für ihre zarte Gestalt erstaunlich lautes Schnauben vernehmen. »Nein, nein. Sie stammen doch aus Oxfordshire, nicht wahr, Mr. Hunnable?«
    Er bestätigte dies, fügte allerdings hinzu, er sei vor allem ein Geistlicher.
    Mary runzelte die Stirn. Gab es in Oxfordshire etwa besonders viele Geistliche? Oder bewahrte einen die Ordination vor der Klatschsucht der Einheimischen? Nichts von beidem schien ihr besonders einleuchtend, aber anstatt der Sache weiter auf den Grund zu gehen, gab sie ihrer Überraschung darüber Ausdruck, dass ein Anwesen wie White Ladies lediglich eine Bedienstete hatte. Doch Mr. Hunnable meinte, dies könne schon möglich sein, und Mrs. Tipton zufolge entsprach dies ganz sicher den Tatsachen. Selbstverständlich hatte es noch einen Verwalter gegeben, aber zu Mr. Finchs Lebzeiten war White Ladies nicht für seinen schönen Park bekannt, und schon gar nicht für seine Gastlichkeit. »Sie kamen nicht gerade häufig zu Besuch zu Mr. Finch, nicht wahr, Mr. Hunnable?«, fragte Mrs. Tipton streng.
    »Nein, in der Tat, nicht sehr häufig«, gab er zu und räusperte sich. »Ich fand es daher auch recht schwierig zu entscheiden, wie ich sein Begräbnis ausrichten sollte. Selbstverständlich bin ich mit der Rolle des Geistlichen bei dieser feierlichen und bedeutsamen Zeremonie wohlvertraut, aber wann immer der Verstorbene seine Wünsche zuvor nicht kundgetan hat, weiß man nie genau, wie man den eher persönlicheren Teil gestalten soll. Man bemüht sich um Feingefühl, wissen Sie, doch alles will notwendigerweise genau überlegt sein. Der Grabstein stellte dabei eine besonders schwierige Herausforderung dar, aber ich bin sicher, dass die Entscheidung, die zu treffen ich mich gezwungen sah, Ihre Zustimmung finden wird.«
    Mary wandte während seiner Ausführungen ihren Blick nicht von Holland ab. Sie bezweifelte, ob er überhaupt zuhörte. Das war wirklich kein Benehmen, und Mr. Hunnable konnte seine Unaufmerksamkeit nicht entgangen sein. Ihre missbilligende Beobachtung lenkte sie ab, und Mr. Hunnable kam rascher zum Schluss als erwartet. Nicht ganz sicher, ob sie nicken oder die Stirn runzeln sollte, murmelte sie: »Wirklich schwierig für Sie. Mein Onkel hat demnach kein Testament hinterlassen?«
    »D-doch, ich glaube schon. Selbstverständlich hat sich Mr. Todd sehr bemüht und mir mitgeteilt, dass alles mit so wenigen Ausgaben wie möglich durchgeführt werden sollte, was vermutlich Mr. Finchs Anweisung entsprach. Sonst hätte er doch sicher nicht gewagt, sich derartig einzumischen, oder?«
    Mary hörte jetzt wieder aufmerksam zu, aber sie wusste nichts zu entgegnen, bis Mrs. Tipton erläuterte, dass es sich bei Todd um den Advokaten des verstorbenen Mr. Finch handelte. »Verstehe«, erwiderte Mary mit einem Kopfnicken, »und er ist sicher auch sein Testamentsvollstrecker oder zumindest eingeweiht in die Einzelheiten seines letzten Willens.«
    »Eingeweiht war er vielleicht«, klagte Mr. Hunnable, »aber mich ließ er darüber vollkommen im Unklaren. Ferner hielt es Mr. Todd auch für angebracht, Andeutungen über eine Erbschaft fallen zu lassen - oder nennt man das eher ein Vermächtnis?«
    »Ein Vermächtnis, glaube ich, Sir.«
    »Ein Vermächtnis also zugunsten eines wohltätigen Zwecks, und auch die Vollstreckung wurde anscheinend Mr. Todd übertragen. Nun, ich beklage mich nicht. Man tut zwar sein Bestes, aber wenn die Verwaltung eines wohltätigen Vermächtnisses in die

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