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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Holland anderntags ebenfalls Pläne hatte: Er wollte Lebewohl sagen. Die Kutsche nach Norwich fuhr um acht Uhr früh von Woodbridge ab.
    Marys Lächeln gefror. Sie sank auf den Stuhl vis-à-vis von Holland, ohne zu ihm aufzublicken.
    »Ich glaube, das ist eine ausgezeichnete Verbindung«, bestätigte Mrs. Tipton in einem Tonfall, als glaubte sie, ihre Zuversicht wirke sich automatisch positiv auf die Reise des Adressaten aus.
    »Ja«, stimmte Mary ihr kleinlaut zu, »Sie … Sie sollten nicht noch mehr Tage Ihrer Beurlaubung vergeuden.«
    »Ach, Sie sind so etwas wie … im Urlaub«, rief Mrs. Tipton aus. »Ich hatte es so verstanden, dass Ihre Reise auch einen dienstlichen Zweck hat.« Dabei blickte sie Holland scharfsinnig an, als habe man ihr wissentlich Informationen vorenthalten, die sie jedoch trotzdem aufgespürt habe.
    »Nein, Ma’am«, gestand Holland ein. Nur ungern sprach er über persönliche Dinge, insbesondere mit jemandem wie Mrs. Tipton. Deshalb versuchte er, die Diskussion abzukürzen, indem er ihr gleichgültig antwortete. Er hatte Verwandtschaft in Norfolk und war auf dem Weg dorthin gewesen, als Miss Finch ihm begegnete.
    Sein Bemühen war nicht von Erfolg gekrönt. Weitere Fragen förderten die interessante Neuigkeit zutage, dass Hollands Onkel Sir William Armitage war, der sich mittlerweile im Ruhestand befand, früher aber im Schatzamt tätig gewesen war, und den man für seine Dienste zum Ritter geschlagen hatte. Die Adresse in Norfolk irritierte Mrs.Tipton ein wenig, da sie ihr eigenes Netz von Bekannten sehr weit auswerfen musste, um entscheiden zu können, ob sie Sir William kannte. Dies wurde noch dadurch erschwert, dass Holland sich nicht an Lady Armitages Mädchennamen erinnern konnte. Nichtsdestotrotz hörte es sich nach einer ehrenwerten Familie an, besonders nachdem sie feststellten, dass der Reverend Henry Armitage, den Mrs.Tipton durch die Schwester ihres verstorbenen Mannes kennengelernt hatte, ebenfalls zur Verwandtschaft gehörte. Sie blickte Holland nun wohlwollender an.
    Mary schenkte Mrs. Tiptons Verhör bald keine Beachtung mehr. Er ging also fort. Natürlich hatte sie gewusst, dass Captain Holland wieder gehen würde, aber das war nicht das Gleiche, wie es tatsächlich zu erleben. Bei alledem, was geschehen war, hatte sie einfach keine Zeit gehabt, länger darüber nachzudenken und zu einer Entscheidung zu gelangen, wie sie sich dabei fühlte. Und jetzt … nun, jetzt war es einerlei, was sie fühlen mochte, denn er ging ja sowieso. Wahrscheinlich sähe sie ihn nie mehr wieder.
    Susannah und Charlotte, die Namen der Töchter von Sir William Armitage, fielen, und plötzlich entsann sich Mary an »Meine liebste Susannah«. Einer der verstreut herumliegenden Zettel, die sie vor Kurzem im Korridor von White Ladies aufgelesen hatte, war ein Brief gewesen. Dies hatte sie damals zwar bemerkt, hatte aber nicht genauer hingesehen, sondern nur die Anrede »Meine liebste Susannah« und zum Schluss »Immer der Eure, Bobs« gelesen. Und Captain Holland hatte gesagt, es seien Berechnungen, nichts weiter … Was für eine Art von Berechnungen sollte das sein?
    Mary stellte sich Susannah und Charlotte vor, wie sie da in Norfolk lebten und ihn Bobs nannten. Immer der Eure, Bobs. Sicher waren sie außerordentlich hübsch und gebildet. Bestimmt besuchte er sie, wann immer es ihm möglich war. Wenn ihn nicht irgendwelche törichten Mädchen mit völlig langweiligen Rätseln und Abenteuern aufhielten. Sie vergaß seinen abgetragenen Mantel und seine derbe Art. Stattdessen stellte sie sich ihn in einem riesigen Anwesen auf dem Lande vor, mit Bediensteten und Kutschen und jedem nur erdenklichen Luxus. Dann wiederum hörte sie sich ihm eifrig vom Mord am Erzbischof von Canterbury erzählen und schloss die Augen. Zweifelsohne war ihr Erbe eine Nichtigkeit im Vergleich zu dem unermesslichen Vermögen von Sir William Armitage …
    Auf einmal bemerkte sie, dass die Konversation zwischen Holland und Mrs. Tipton verstummt war und beide sie anblickten. »Hm-m?«, fragte sie. »Verzeihung?«
    »Sie sind so still geworden. Ich dachte schon, Sie wären eingeschlafen«, bemerkte Mrs. Tipton. »Captain Holland hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass man Miss Susannah und Miss Charlotte Armitage zu Hause unterwiesen hat, und ich wollte wissen, ob Sie als Lehrerin eine Meinung zu dieser Praxis haben.«
    »Oh, nein, ich … habe mir darüber nie Gedanken gemacht«, antwortete Mary und dachte dabei, dass die

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