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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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effizienter.«
    Und ruhmreicher - und die Wahrscheinlichkeit, dass es schiefgeht, höher , dachte Hicks. Doch er gab sich mit einem Achselzucken zufrieden.
    Déprez kannte ihn allerdings gut genug und lächelte über die unausgesprochene Zurechtweisung. »Wie sagte Vergil doch gleich?«, murmelte er. »›Das Glück ist auf der Seite der Tapferen‹?«
    »Ja«, beklagte sich Hicks, »und Terenz sagte es vor ihm. Vergil hat schamlos abgekupfert. Und was sagst du zum Buch der Sprüche: ›Hochmut kommt vor dem Fall‹?«
    »Da bevorzuge ich Vergil, trotz seines Plagiats«, erwiderte Déprez lachend.
     
    Am Abend, als sich alle ins zweite Empfangszimmer zurückgezogen hatten, um nach dem Dinner ihren Tee einzunehmen, wurde in Lindham Hall eine Nachricht überbracht. Der Advokat Mr. Horatio Todd ließ Miss Finch seine Empfehlungen ausrichten und hoffte, ihm würde die Ehre zuteil, in einer dringlichen Angelegenheit mit ihr zu sprechen. Wäre es Miss Finch genehm, anderntags morgens nach Woodbridge zu kommen? Mr. Todd hatte in seinem Büro Geschäftliches zu regeln, andernfalls hätte er ihr selbstverständlich in Lindham seine Aufwartung gemacht. Er nähme an, Miss Finch wolle das Treffen nicht hinauszögern. Deshalb schlug Mr. Todd einen Termin um elf Uhr vor.
    »Es wäre uns ganz gewiss nicht genehm«, verkündete Mrs. Tipton und setzte ihre Teetasse ab. »Wir haben gerade dann einen weit dringlicheren Termin bei der Schneiderin. Mr. Todd wird sich gedulden müssen, bis wir fertig sind, und seine Annahmen kann er für sich behalten.«
    Mary und Holland wechselten verstohlene Blicke, Mary musste sich auf die Unterlippe beißen, bevor sie etwas entgegnete. »Ja, Ma’am. Ich glaube, Mr. Todds Diener wartet unten auf eine Antwort. Was soll ich ihm schreiben?«
    Mrs. Tipton ließ ein deutlich hörbares Schnauben vernehmen und spielte nervös mit einem ihrer Stöcke. Ihre dünnen, blassen Hände, die das blanke Holz umfasst hielten, öffneten und schlossen sich dabei ohne Unterlass. »Anstand und Schicklichkeit verlangen, dass Sie ordentliche Kleidung bekommen, bevor Sie sich in der Öffentlichkeit sehen lassen. Wenigstens ein Trauerkleid. Nicht dass wir meiner Ansicht nach Mr. Todd eine Erklärung oder besondere Aufmerksamkeit schuldig wären. Ein unbeständiger Mann … kein Rückgrat. Sagen Sie ihm …«, beschloss sie, »dass Ihre Angelegenheiten morgen Ihre Anwesenheit in Woodbridge erfordern und dass Sie sich dazu herablassen werden, um vierzehn Uhr zu Mr. Todd zu kommen. ›Mr. Todd schlägt vor.‹ So weit kommt es noch!«
    Mary setzte sich an den kleinen, mit Intarsien versehenen Schreibtisch in der Ecke des Raums und formulierte geschwind eine gemäßigtere Antwort. Sie freute sich darauf, den Advokaten zu treffen, und mehr noch, wie sie insgeheim zugab, auf den Termin mit der Schneiderin. Bei Mrs. Tiptons Erwähnung war sie freudig überrascht gewesen, obgleich Erwähnung wohl nicht das richtige Wort dafür war. Als Mrs. Tipton verfügt hatte, dass sie Miss Cheadle den Gefallen tun würden, sie als Kundin zu beehren. Aber wie dem auch sei, die Aussicht auf ein neues Kleid - vielleicht sogar aus Seide und maßgeschneidert - zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, und Mary nahm an, dort gäbe es wahrscheinlich auch Handschuhe, Spitzenkragen und sogar einen Damenmantel.
    Bei dem Gedanken an all diesen extravaganten Schnickschnack fiel Mary wieder die Uhr ihres Vaters ein. Vielleicht könnte sie die nun doch noch reparieren lassen! Das war zweifelsohne eine teure Angelegenheit, denn Mary wollte die Arbeit nur einem erfahrenen Uhrmacher anvertrauen, aber zumindest schien es nun nicht mehr in unerreichbarer Ferne zu liegen. Alle nahmen an, sie würde von ihrem Onkel ein beachtliches Vermögen erben - selbst Mr. Hunnable hatte davon gesprochen -, und dieser Brief hier, von Mr. Todd, bestätigte doch ihre Annahme. EinVermögen . Sie lächelte insgeheim.Wie wankelmütig sie doch war: bereit, Unsummen auszugeben, bevor sie auch nur einen Penny davon in der Hand hielt - und noch vor ein paar Tagen bedrückt vor lauter Angst, mittellos dazustehen! Aber der Advokat drängte doch sicherlich nicht so auf ein Treffen, wenn er lediglich schlechte Neuigkeiten für sie hätte.
    Diese Sicht der Dinge tröstete sie, während sie ihr Antwortschreiben versiegelte und es dem unten in der Küche wartenden Boten übergab. Als sie ins Empfangszimmer zurückkehrte, umspielte noch ein Lächeln ihre Lippen, doch dann vernahm sie, dass Captain

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