Miss Meermaid steht zur Wahl
Minuten später kam das
erste Mädchen aus der nächsten Garderobe, dem fast unmittelbar darauf ein
weiteres folgte. Es waren sechs Umkleideräume, und die ersten acht Mädchen
hatten vier davon mit Beschlag belegt, so daß die beiden letzten, die ankamen,
jede eine Garderobe für sich hatten. Das mußten Bella Lucas und das zierliche
Mädchen aus dem Süden, Yvonne Cleary , gewesen sein.
Ich zündete mir eine Zigarette
an und wartete geduldig, daß der Rest erscheinen würde. Fünfzehn Minuten später
tauchte Yvonne Cleary auf, schenkte mir ein warmes
Lächeln und schwebte dann in einem Hauch von Magnolien durch den Korridor.
Damit waren es neun, und nur noch Bella Lucas mußte kommen. Als sie nach fünf
Minuten immer noch nicht erschienen war, kam ich zu der Ansicht, daß sich keine
Dame so lange mit ihrem Strumpfhalter Zeit lassen sollte, und klopfte laut an
ihre Garderobentür.
»Ist etwas geschehen?«
Ich erkannte Helen Richmonds
Stimme und drehte mich um. Sie stand mit Elaine Curzon unmittelbar hinter mir.
»Sie ist das letzte Mädchen,
das kommen muß«, sagte ich. »Ich finde, sie könnte sich etwas beeilen. Wenn es
sein muß, werde ich ihr gerne helfen.«
Ich klopfte wieder an die Tür,
aber von innen kam keine Antwort.
»Sind Sie denn sicher, daß sie
noch drin ist?« fragte Helen. »Sie kann doch schon fort sein.«
»Sie ist noch nicht fort«,
erwiderte ich schroff.
Helen Richmond trat neben mich
und klopfte mit ihrem Knöchel einen scharfen Wirbel gegen die hölzerne
Türfüllung. »Hallo, Sie da drinnen«, rief sie laut, »ist alles in Ordnung bei
Ihnen?«
Es erfolgte keine Antwort.
»Das gefällt mir nicht«, sagte
Helen besorgt. »Warum antwortet sie nicht, wenn sie noch da ist?«
»Das läßt sich doch wohl ganz
einfach feststellen«, sagte ich und griff nach der Klinke. Die Tür war von
innen verschlossen.
»Brechen Sie sie auf«, sagte
Helen in gespanntem Ton.
»Für einen Burschen mit meinen
Muskeln ist das ein Kinderspiel«, erwiderte ich, nahm einen Anlauf und warf
mich mit der Schulter gegen die Tür.
Vielleicht war die Holztäfelung
nur eine Verkleidung für gehärteten Stahl. Nachdem ich das viertemal zurückgeprallt war, sah Helen mich geringschätzig an und verlangte dann, jemand
solle eine Axt holen.
»Diesmal breche ich sie auf«,
versprach ich und wich über die ganze Breite des Ganges zurück, so daß ich an
der gegenüberliegenden Wand stand. Dann nahm ich einen Anlauf und warf mich mit
voller Wucht gegen die Tür.
Im letzten Augenblick, ehe ich
gegen sie prallte, war von innen ein klickendes Geräusch zu hören, und die Tür
schwang auf. Sie flog bei der ersten Berührung meiner Schulter in ihren Angeln
zurück. Ich verlor das Gleichgewicht und beschrieb einen hohen Bogen, bis ich
dem Gesetz der Schwerkraft folgend, schmerzvoll mit der Nase auf dem Boden
landete. Den Aufprall muß man acht Blocks vom Theater entfernt gehört haben,
und ich rechnete schon damit, daß sie von einem neuen Hurrikan »Danny« sprechen
würden. In einer Art selbstmörderischen Reflex erhob ich mich schwankend auf
die Beine, statt auf dem Boden ohnmächtig zu werden, und sah die Leiche
ausgestreckt vor mir.
Nackt hielt Bella Lucas Körper
all die atemberaubenden Verheißungen, die von dem Badeanzug halb verhüllt
gewesen waren. Dann sah ich, was bei den Teilnehmerinnen an dem Wettbewerb zu
einer häßlichen Gewohnheit zu werden schien. Ein Meermaid-Badeanzug war fest um
ihren Hals geschlungen.
6
Mit einem lauten
Schreckensschrei stürzte Helen Richmond in das Zimmer und kniete neben Bella
nieder. Ihre Finger mühten sich verzweifelt, den Badeanzug zu lösen, der um
Bellas Hals verknotet war.
»Ist sie tot?« stammtelte ich heiser und taumelte auf sie zu. Ich war
nicht in meiner besten Form, aber im Augenblick erschien mir diese Frage
angemessen und zutreffend.
»Nein.« Helen schauderte. »Sie
atmet noch. Sie muß uns klopfen gehört haben und irgendwie muß es ihr gelungen
sein, zur Tür zu gelangen und sie aufzuschließen.«
Sie blickte zu mir auf, und in
ihren Augen funkelten Blut und Feuer. »Nein, dank Ihrer Hilfe lebt sie noch.
Aber wie ist überhaupt jemand hier ’reingekommen und konnte versuchen, sie zu
erwürgen? Sie sollten doch die ganze Zeit draußen vor der Tür stehen und
aufpassen!«
Bella setzte sich plötzlich auf
und starrte uns mit wilden Blicken an.
»Immer mit der Ruhe, meine
Liebe«, befahl ihr Helen. »Es ist ja alles in Ordnung.«
»Ich —
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