Miss Monster
Tod?
Sie starrte nicht auf einen bestimmten Fleck, sie schaute einfach in die Runde.
Wer konnte das Wesen sein? War es nur ein Schatten? Hatte es einen Namen, oder war es einfach nur da?
Manchmal sah es hell aus, dann wieder dunkel. Es flössen an verschiedenen Stellen die unterschiedlichen Farben zusammen und bildeten ein manieriertes Monstrum.
Gedanken überfielen sie. Keine Erinnerungen, sondern Befehle. Hier wurde mit der Zukunft gespielt, man drückte sie ihr entgegen, man versuchte, ihr die Angst zu nehmen.
Wiebke lächelte. Jetzt hatte es einen grausamen Ausdruck angenommen. Sie fühlte sich als Siegerin, sie hatte es geschafft, was ihr niemand zugetraut hätte.
Wer konnte ihr jetzt noch Furcht einflößen? Keiner – auch ein Mister Redstone nicht.
Als sie an ihn dachte, lachte sie auf. Er war ein Schwein, ein Sadist, ein gefürchteter Lehrer, ein Peitscher und dabei so widerlich freundlich, wenn er an Menschen geriet, die ihm überlegen waren oder zu seinen Vorgesetzten zählten, wie Mrs. Paulsen, die Rektorin und Leiterin der Schule.
Sie sahen zwar verschieden aus, aber irgendwo glichen sie sich. Sie gehörten einfach zusammen, sie bildeten auch ein Team. Keiner kämpfte gegen den anderen.
Aber jetzt…
»Ich zeige es euch!« flüsterte Wiebke. »Ich werde es euch allen zeigen, allen. Ich weiß, daß ihr ein Opfer braucht, aber ich werde es nicht mehr sein. Keine Bestrafung mehr, keine Dunkelkammer, keine Schläge. Ab heute schlage ich zurück…«
Sie wollte nach dem Paddel greifen, als ihr etwas auffiel. Der Gegenstand war hell und schwamm dicht unter der Wasserfläche. Ein weißer Ball, der sich bewegte und allmählich seinen Weg änderte, so daß er auf ihren Kahn zutrieb.
Noch konnte sie ihn nicht genau erkennen. Wiebke wußte nur, daß dieser Gegenstand einzig und allein für sie bestimmt war. Ein Geschenk aus der Tiefe, das Böse hatte ihr etwas überlassen. Es mochte sie, und das zeigte es auch.
Der Gegenstand wanderte näher. Kleine Wellen schwemmten ihn an das Boot heran. Er hüpfte so nahe, daß sie nur den Arm auszustrecken brauchte, um ihn aus dem Wasser zu fischen.
Das tat sie dann auch. Ein Griff reichte.
Sie umfaßte den hellen Gegenstand, holte ihn hoch – und lachte plötzlich auf.
Ihre Augen nahmen einen harten Glanz an, die Lippen zogen sich in die Breite, und sie preßte das nasse Fundstück hart gegen ihre Brust. Als kleines Kind und auch heute noch, wenn es ihr schlechtging, hielt sie ihre Puppen so fest, aber das hier war etwas anderes, es war von unten gekommen, aus einer Tiefe, die ihrer Meinung nach keinen Grund mehr besaß, die einfach ein Stück Hölle sein mußte.
Wiebke atmete heftig. Sie nahm auch die andere Hand zu Hilfe. Es war eine symbolische Geste, denn niemand sollte ihr diesen Gegenstand je wegnehmen können.
Niemand…
Erst nach einer Weile war sie soweit, daß sie ihre Arme senken konnte. Jetzt lag der Gegenstand frei auf ihren Händen. Er war nicht einmal schwer und sehr glatt und hatte mehrere Löcher.
Ihr Fundstück war ein bleicher Totenkopf!
Wiebke Crotano dachte nicht über ihn nach. Sie hatte ihn nicht gefunden, er war ihr geschenkt worden, und er war gleichzeitig das Geschenk ihres Lebens.
Nie zuvor hatte sie sich so gefreut wie in dieser Nacht. Der Totenkopf war nicht grundlos in ihren Besitz gelangt, man hatte ihn ihr geschenkt, es hatte ihr dieses Geschenk überbracht, und es war für sie das Böse. Nun stand es auf ihrer Seite.
Sie brauchte sich nicht zu fürchten. Es würde sie beschützen wie ein gewaltiger Mantel. Er würde seine Schwingen über sie ausbreiten, und die Menschen konnten ihr gestohlen bleiben. Die Träume, die Botschaften hatten recht behalten. Sie war dazu ausersehen worden, ein großes Erbe weiterzutragen.
Es tat ihr leid, daß sie den Schädel abstellen mußte, wenn sie wieder zurückruderte.
Aber sie stellte ihn so hin, daß sie ihn einfach anschauen mußte. Dieser Schädel ersetzte ihr Mutter und Vater, und es war ja nicht nur er, denn da stand noch etwas hinter ihm.
Ein Symbol, eine Macht…
Sie paddelte dem Ufer zu. Sehr ruhig und beherrscht. Angst würde sie von jetzt an nicht mehr kennen, und ihre Gedanken drehten sich um ein bestimmtes Thema. Sie beschäftigte sich mit ihrem Namen. Ändern konnte sie ihn nicht, obwohl sie es gern getan hätte, denn Wiebke Crotano gefiel ihr nicht.
Dann hätte man sie auch Kretin oder Bastard nennen können. Sollten die anderen sie weiterhin so rufen, sie hatte sich
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