Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Schimpfkanonade.
Erst als ich eine gute halbe Stunde später in mein Viertel kam, machten Zorn und Selbsthass einer nervösen Spannung Platz. Die letzten Kurven, dann mündete mein Weg in den Eingang der Gasse, in der sich mein Haus verbarg. Schon aus der Ferne versuchte ich zu erspähen, ob das Tor offen stand, doch es wirkte völlig unberührt. Endlich angekommen. Tatsächlich: Der Eingang war mit dem Vorhängeschloss verriegelt. Sollte ich so viel Glück gehabt haben, meinen Schlüssel zu verlieren, bevor Huong ihn stibitzen konnte? Ich zwängte meinen Blick durch einen Spalt im Zaun, konnte die Haustüre jedoch nicht sehen. Daraufhin bockte ich die Vespa am äußersten Ende des Gatters auf, wo dieses an einer dünnen Steinsäule endete. Schon stand ich auf der Sitzbank, bekam mit meinen Händen die Zinken des Zaunes zu fassen und zog mich an ihnen hoch. Vorsichtig ging es weiter: Ein Bein über die Säule geschwungen, das andere versuchte noch, auf der Außenseite Tritt zu fassen. Mein Schritt schwebte nur wenige Zentimeter über den metallenen Spitzen. Panik! Mit aller Kraft versuchte ich, dass zweite Bein nachzuziehen, blieb mit dem Hosensaum an einem Zinken hängen und stürzte von der Säule in den Vorhof hinunter. Fluchend rappelte ich mich auf und stürmte zur Haustür.
Sie war verschlossen.
Doch schon fiel mir etwas anderes ins Auge: Einer der Blumentöpfe im Hof war umgekippt, Erde und Blütenpracht verteilten sich über den Boden. Mein Herz fing an zu rasen, als ich um die Ecke des Hauses zu den vergitterten Fenstern des Wohnzimmers ging. Ich äugte hinein.
Als Erstes fiel mir die große Leere an der Stelle auf, wo
normalerweise mein Fernseher stand. Auch DVD-Player und Stereoanlage waren vom Sideboard verschwunden. Der Esstisch war wie blank gefegt, dabei musste dort mein Laptop gelegen haben. Auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass Huong selbst von den wertlosen, aber unersetzbaren Schätzen nicht die Finger gelassen hatte: Die Bilder von Familie und Freunden, die Schachtel mit den Briefen, die kleinen Souvenirs und Andenken, die mir hier in der Fremde ein Gefühl von Heimat gezaubert hatten.
Meine Hände verkrampften sich um das Fenstergitter. Ich rammte mehrmals mit dem Kopf gegen die Metallstäbe, bis der Schmerz mir endlich befahl, mit dem Unsinn aufzuhören.
Unsinn machte ich trotzdem: Eine Woche lang beschattete ich Huongs Schlupfwinkel in der vagen Hoffnung, dass sie noch einmal dorthin zurückkehren würde. Früh morgens saß ich vor der Arbeit zwei Stunden in einem Café, das einen guten Blick auf die mir mittlerweile verhasste Holztür bot. Abends kletterte ich direkt vom Büro wieder in meinen Ausguck, ließ die schäbige Hütte keine Sekunde aus den Augen, rauchte ohne Unterlass und schüttete einen Kaffee nach dem anderen in mich hinein. In den vielen einsamen Stunden drängte sich manche Frage auf: Warum die Vespa nicht weg war, ließ sich noch beantworten. Das schwere, alte Gefährt hatte die zierliche Diebin wohl nicht die Rampe hochwuchten können.
Sollte ich die Polizei informieren? Nach allem, was ich von Vietnam wusste, würde nichts passieren - außer, dass ich mich als der notgeile Ausländer outen würde, der ich offenkundig war.
Und was würde ich tun, wenn Huong plötzlich vor mir stünde? Ich hatte ehrlich gesagt keinen Plan, aber die diebische
Elster war ohnehin schon zu ihrem nächsten Nest geflogen.
War sie wirklich? Nach einer Woche sah ich in der Nacht ein Pärchen zielsicher auf die Hütte zugehen. Konnte sie wirklich so abgebrüht sein, hier wieder aufzutauchen? Ich schaute genauer hin. Die Frau wirkte eine Spur zierlicher als Huong, der Ausländer hinter ihr zwei Köpfe größer als ich.
Ohne einen Plan gefasst zu haben, stürzte ich aus dem Café und rannte auf die zwei zu. Noch fünfzig Meter, noch dreißig, noch zwanzig. Überrascht schauten die beiden in Richtung des Geistesgestörten, der da durch die Dunkelheit angeprescht kam. Ich hatte wiederum vor allem das Mädchen im Visier. Es war tatsächlich nicht Huong, aber selbst auf die Entfernung konnte ich in ihren Augen sehen, dass sie wusste, worum es ging, die Situation blitzschnell erfasste und sich in gespielter Angst an den Riesen neben ihr schmiegte.
Es gibt freundlichere Blicke, die einen treffen können, wenn man das erste Mal vor Fremden steht.
Aber es gibt auch freundlichere Worte als die, die ich ihnen entgegenschleuderte:
»Sag mir sofort, wo Huong ist, du Schlampe!«
»Was? Ich kenne
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