Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Saigon doch mal die Chance geben, dich von einer besseren Seite kennenzulernen. Was meinst du?«
Zwei Tage später materialisierte sich Minh unangemeldet vor meiner Tür. An seinem klapprigen Moped hingen rote und grüne Plastiktüten, durch die Kokosnüsse, Drachenfrüchte und riesige Pomelos hindurchschimmerten. Er signalisierte mir, dass ich mich auch noch hinaufquetschen sollte.
»Wohin geht es denn?«, wollte ich wissen, während das Gefährt unter der Last nur langsam an Fahrt aufnahm.
»Wart’s ab!«
Er kutschierte uns zur Innenstadt, fuhr dann Richtung Fluss und bog kurz darauf in eine kleine Seitenstraße ab, an deren Ende ein ockergelbes Gemäuer stand.
»Laut Mondkalender ist heute ein guter Tag, um einen Wunsch zu äußern. Und ich dachte mir, das könntest du vielleicht gebrauchen.« Schon steuerte er schwer an den Tüten schleppend auf den Eingang des Gebäudes zu. Dieses entpuppte sich als Tempel - auch wenn er ganz anders aussah als die Pagoden, die man sonst in Vietnam zu sehen bekommt. Drinnen grüßte eine Statue, die einen ausladenden Elefantenkopf trug. Mein alter Kumpel Ganesha, mir durch vergangene Reisen wohlbekannt. Ich hätte ihn eher 5000 Kilometer weiter westlich erwartet - denn er ist eine indische Gottheit, die für Anfang und Neubeginn steht. Das passte dann ja wenigstens.
»Bist du etwa Hindu?«, flüsterte ich Minh zu. »Ich wusste gar nicht, dass es hier so etwas gibt. Sind Vietnamesen nicht zum größten Teil Buddhisten?«
»Ach, wir nehmen es damit nicht so genau. Das Wichtigste ist, dass wir zu unseren Ahnen beten. Ansonsten gehen wir pragmatisch mit Religionen um. Selbst als Buddhist wirft man bei Konfuzius oder Christus auch ein paar Dong in die Spendenbox. Das kann ja nicht schaden. Und heute sind wir in einem Hindutempel, weil dieser besonders geeignet ist, wenn man um die Liebe einer Frau oder eines Mannes bitten möchte.«
Ich schnitt eine Grimasse, doch Minh schob mich schon vor einen Schrein, der unter einem überdachten Laubengang stand. Dort angekommen, drückte er mir die Früchte in die Hand und bedeutete mir, sie auf dem Altar abzulegen. Unter den strengen Augen eines goldenen Shivas (sympathisch: er symbolisiert unter anderem die Ekstase) drapierte ich meine Gaben. Dann steckte mir Minh ein Räucherstäbchen zu.
»Verbeuge dich drei Mal. Sag deinen Namen und was du dir wünschst.«
Wie Minh es mir gezeigt hatte, erhob ich meine zusammengelegten Hände vor die Stirn. Zwischen den Fingern steckte das glimmende Stäbchen. Etwas in mir widersetzte sich. Dies war das Innerste einer fremden Kultur, und ich kam mir völlig fehl am Platze vor. Dann besann ich mich auf das, was Minh mir gerade über das Religionsverständnis der Vietnamesen gesagt hatte - und darauf, worum ich beten wollte. Mit geschlossenen Augen verneigte ich mich vor Shiva und flüsterte:
»Werteste Gottheit. Mein Name ist Nick Roth. Der Pfarrer, bei dem ich früher Messdiener war, würde sich sicher im Grabe
umdrehen, wenn er mich heute hier sehen würde. Ich muss außerdem zugeben, dass ich die Chance zum Gebet seit jenen Tagen eher unzureichend genutzt habe. Gleichwohl beuge ich jetzt vor dir mein Haupt und hoffe auf göttlichen Beistand. Denn wenn ich bei meinem Herrn Pfarrer eines gelernt habe, dann ist es, dass der Kern aller Religionen die Liebe ist. Und diese habe ich in den letzten Jahren großzügig gespendet. Allerdings eher in körperlicher Form - was du mir als Gott der Ekstase sicher nachsehen wirst. Nun hat es sich ergeben, dass auch mein Geist bereit ist, Liebe unter die Menschen zu bringen. Genauer: einer bestimmten Person angedeihen zu lassen. Die mich leider für eine absolute Flachpfeife hält. Bitte, hilf! Ansonsten habe ich keine Chance. Vielen Dank im Voraus!«
Ein paar Sekunden blieb ich noch mit gebeugtem Haupt und schwankendem Körper stehen und lauschte dem Nachhall meiner Worte.
Auf einmal hörte ich eine Stimme:
»Alles wird gut!«
Himmlische Heerscharen! Jubilierende Engelschöre! Lobpreisungen und Dankesgesänge! All das blieb leider aus. Ich öffnete verwirrt die Augen und blinzelte gegen die gleißende Sonne.
»Jetzt wird alles gut! Der Mondkalender sagt: Dies ist der perfekte Tag. Und: Dies ist der perfekte Ort für deine Bitte. Mehr kannst du nicht tun.«
»Ach Minh«, seufzte ich enttäuscht. »Ich dachte schon, du seist Gott!«
»Kein Problem. Du kannst mich gerne anbeten und mir ein paar Opfergaben darreichen.«
»Du gieriger Shiva! Das mache
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