Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
gegenüberstand.
»Nichts.«
»Ach komm. Sag schon: Was ist mit dir?«
»Nichts.«
»Hat es was mit mir zu tun?«
»Nein.«
»Kann ich dir helfen?«
»Nein.«
Das Pendel ihrer Stimmungen schwang beharrlich hin und her. Man konnte vom Zusehen Kopfschmerzen bekommen.
Nach rechts: der erste, zaghafte Kuss.
Nach links: ein ausdrucksloser Blick ins Leere.
Nach rechts: der erste stürmische Kuss.
Nach links: ein Telefonat, so kalt wie ein Waschbecken.
Nach rechts: zwei Körper, die über eine Matratze rollen (angezogen, wild aneinanderreibend).
Nach links: eine zehntägige Kontaktsperre.
Nach rechts: Zwei Körper, die über eine Matratze rollen (ausgezogen, wild aneinanderreibend).
Normalerweise würde einen das fertigmachen. Doch mein Blut puckerte vor Glück und Gefühlen, die doch auf ewig im Marianengraben meines Herzens verschollen schienen. Immerhin waren vietnamesische Frauen in jenen Tagen nicht gerade als Verfechterinnen schneller Affären bekannt. Dass wir zumindest tagsüber manchmal das Bett miteinander teilten, stellte für mich die unausgesprochene Übereinkunft dar, dass wir nun ein Paar waren. Alles andere würde sich finden.
Hätte es mich stutzig machen sollen, dass sie nie bei mir übernachtete, sondern pünktlich um dreiundzwanzig Uhr den Heimweg antrat? Wie jede unverheiratete junge Frau lebte Lien bei den Eltern. Unmöglich, dass sie eine Nacht mit einem Mann verbrachte. Selbst Minh bestätigte mir das.
Hätte ich daran zweifeln sollen, dass das verlängerte Wochenende in Bangkok ein Firmenausflug war? Gerade hatte Thailand als eines der ersten Länder die Visumpflicht für
Vietnamesen aufgehoben. Alle fuhren dorthin. Jürgen überlegte sogar, die Belegschaft auf eine große Sause einzuladen.
Hätten bei mir die Alarmglocken läuten müssen, als Lien mir nach einem innigen Kuss verliebt in die Augen sah und sagte:
»Du bist so gar nicht das, was ich mir vorgestellt habe.«
Sie haben geläutet.
Ich spürte, dass ich ihrem merkwürdigen Verhalten vielleicht endlich auf die Schliche kommen konnte. Um die zarte Pflanze der Gesprächsbereitschaft nicht zu zertrampeln, bemühte ich mich um einen heiteren Tonfall:
»Und? Wie sollte ich denn sonst sein? Größer? Schöner? Reicher?«
»Reicher wäre schon mal nicht schlecht.«
»O.K., ich arbeite dran.«
»Nein. Ich meine richtig reich. Das wirst du in deinem Job nicht. Eine eigene Firma. Erfolgreich. Wichtige Leute kennen. Ein echter Geschäftsmann eben. Mit Anzug und Krawatte. Das meine ich.«
»Hm«, grummelte ich, »sonst noch was?«
Ich war angeknockt. Da kam etwas auf mich zu, womit ich nicht gerechnet hatte und was ich nicht beeinflussen konnte. Doch Lien bemerkte meine gesteigerte Nervosität nicht und setzte das Gespräch im Plauderton fort.
»Eigentlich stehe ich nicht auf Europäer. Das hatte ich dir ja auch schon mal gesagt.«
»Kein Problem. Ich bin doch schon ein halber Vietnamese.«
»Bloß nicht.« Sie lachte. »Das ist ja noch schlimmer!«
»Und was sollte ich deiner Meinung nach sein?«
So schnell und überzeugt wie die Antwort kam, war klar, dass sie schon seit Jahren ihren festen Platz in Liens Kopf hatte:
»Ein Japaner!«
»Ein Japaner? Entschuldige mal! Ich bin kein Japaner, und ich möchte auch gar keiner sein. Und ich bin verdammt froh, dass ich nicht den ganzen Tag im Anzug rumrennen muss, auch wenn ich in diesem Leben kein Millionär mehr werde.«
Meine Stimme hatte jegliche Wärme verloren. Lien sah mich erschrocken an und begann, sich zu verteidigen.
»Ich weiß. Gerade das macht dich ja auch zu dem, was du bist. Das ist es ja, was mich so verwirrt: Seit ich ein junges Mädchen bin, träume ich davon, einen Japaner zu heiraten. Einen mit Macht, Geld und Einfluss. Einen, auf den man stolz sein kann, zu dem andere Menschen aufsehen. Andere Männer haben mich nie interessiert, egal wie nett sie waren, wie reich sie waren oder wie gut sie aussahen. Und jetzt trittst du auf einmal in mein Leben und bist so ganz anders, als ich es mir immer vorgestellt habe.«
»Und warum bist du dann mit mir zusammen?«
Sie schwieg.
»Sag schon! Warum bist du mit mir zusammen?«
»Ich …« Sie zögerte. »Schon bei unserer ersten Begegnung fand ich dich interessant. Ich bin selber so überrascht. Ich kann mit dir über alles reden. Selbst über Sachen, die ich sonst nie mit einem Partner besprochen hätte. Dir ist nichts peinlich. Du hast vor nichts Angst. Und wir lachen so viel zusammen. Ehrlich
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