Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
überreichen, doch sie lehnt ab und schlägt vor, dass ich sie stattdessen zum Essen einlade. Ja, jetzt gleich. Ich rolle meine Vespa auf die Straße hinaus. Sie lässt ihr Motorrad stehen und setzt sich ungefragt auf den Sitz hinter mir. Ihre Arme umschlingen meinen Oberkörper, ihr Kopf lehnt gegen meinen Rücken. Wir brausen davon.
Es klingelt. Ich rappele mich von dem Sofa hoch, auf dem ich tagträumend vor mich hin gedöst hatte. Ich öffne die Tür. Vor mir steht Lien - schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Einige Meter hinter ihr sehe ich einen Typen, der auf einem Roller sitzt. Er lässt den Motor laufen. Ich bitte Lien herein, doch sie entgegnet, dass sie nicht viel Zeit hat und schnell weiter muss. Während sie vor der Türe wartet, gehe ich wie in Trance zum Schrank und hole das Geld heraus. Obwohl die Summe längst abgezählt bereit liegt, blättere ich noch einmal durch die Scheine. Nur um Zeit zu gewinnen. Den Kopf klar zu bekommen. Zurück zum Eingang. Lien nimmt das Geld und steckt es ein, ohne nachzuzählen. Knapper Kommentar,
dass meine Nase schon wieder besser aussieht. Bye und Bye bye - und schon biegt sie hinter dem Typen auf dem Roller sitzend um die Ecke.
Scheiße!
Der Nachteil ernsthafter Absichten ist der Verlust der Leichtigkeit. Ich verfiel in Grübeleien. Wählte wieder und wieder die ersten Ziffern ihrer Nummer und legte auf. Feilte an Formulierungen, die ich doch nicht gewagt hätte auszusprechen. Angesichts des schlechten Starts taxierte ich die Chancen auf ein Folgedate mit maximal fünf Prozent. Unter normalen Umständen wären das für mich fünf Prozent Hoffnung auf Amüsement gewesen - Grund genug, jede Frau einfach anzurufen und zuzuschwallen. Bei Lien sah die Rechnung anders aus: Hier türmten sich fünfundneunzig Prozent Angst auf. Angst herauszufinden, dass die vermeintliche Chance in Wahrheit gar nicht existierte.
Also erstarrte ich im Nichtstun, bis ich Eriks Drängen, mein sonderbares Benehmen zu erklären, nachgab. Dabei hatte ich mir vorgenommen, die Geschichte mit mir selber auszumachen. Egal, wie sehr mir Jürgen mit dem Job geholfen hatte: Bei ihm überkamen mich Zweifel, ob meine privaten Angelegenheiten bei ihm gut aufgehoben wären. Minh merkte natürlich, dass mein Kopf immer noch nicht klar war, doch ich ersparte ihm die Details und mir damit weitere Diskussionen.
Es waren leider wahrlich keine Triumphmeldungen, die ich Erik schließlich verkündete. Und doch jubelte ich am Ende unseres Treffens innerlich auf - denn als Überbringer schlechter Nachrichten wurde ich nicht wie üblich geköpft, sondern sogar belohnt.
»Halt! Halt! Halt, mein Lieber!«, fiel er mir ins Wort, noch ehe ich die Geschichte beendet hatte. »Es geht um die Frau, die mit dir von Iains Party in die Klinik gefahren ist?«
»Ja, davon erzähle ich doch gerade.«
»Die kenne ich! Die arbeitet mit Öli in einer Firma.«
Großes Erstaunen - sowohl über diesen unverhofften Zufall als auch über die Tatsache, dass Erik anscheinend auf Iains Party gewesen war. Mein grauer Zellhaufen hatte wirklich nur die allernötigsten Informationen über jenen Tag gespeichert.
»Wer ist denn Öli?«
»Ein Kumpel von mir. Auch Hamburger. Heißt eigentlich Oli, arbeitet hier aber als Ingenieur in einer Ölfirma. Darum Öli.«
»Und dieser Öli ist mit Lien zusammen?«
»Keine Angst. Das sind einfach Kollegen. Außerdem ist Öli schon verheiratet. Er hat Lien nur manchmal mitgebracht, wenn wir abends ausgegangen sind. Aber viel kann ich dir leider nicht über sie erzählen.«
»Weißt du denn, ob sie einen Freund hat?«
Erik zog eine Augenbraue hoch.
»Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Wenn wir mit Öli unterwegs waren, ist sie immer alleine dazugekommen. Aber das will ja nichts heißen. Frag sie doch einfach selber. Ich kann dir ihre Nummer besorgen.«
»Hab ich schon«, murmelte ich.
»Warum rufst du sie dann nicht einfach an?«
»Weil … Weil …« Meine Stimme wurde lauter. »Weil ich Schiss habe, verdammt noch mal. Ich bin das erste Mal seit zehn Jahren wieder verliebt. Aber so wie sie mich kennen gelernt hat, hält sie mich für einen kompletten Vollidioten. Und auch als ich ihr das Geld wiedergegeben habe: Da war
kein Zeichen von Interesse auf ihrer Seite - nur so ein Typ auf dem Motorrad, der die ganze Zeit blöd zu uns rübergeglotzt hat. Wenn ich da jetzt anrufe, dann sagt sie ›Nein‹ - und das war’s!«
»Verstehe.« Erik schmunzelte mich an. »Dann sollten wir Miss
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