Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
sich mit leichtem Vibrieren in meiner Hose ein eingehender Anruf an. Eine Sekunde später plärrte auch schon mein - nicht nur in dieser Situation völlig unpassender - Klingelton los:
»Give it to me baby, aha, aha! Give it to me baby, aha, aha!«
Ebi versuchte, seine Irritation zu verbergen, was ihm zu meinem Erstaunen nicht sonderlich gut gelang. Endlos lange Sekunden stierte er mich einfach nur an, während es weiter aus meiner Hose quäkte:
»Give it to me baby, aha, aha! Give it to me baby, aha, aha!«
Erst als Ebi-san sah, dass sich ein unverschämtes Grinsen auf mein Gesicht geschlichen hatte, fand er seine Fassung wieder - vielmehr: er verlor sie komplett.
»SCHALT DEN SCHEISS AUS!«, donnerte er durch den Raum. Beeindruckend.
Ich langte in meine Tasche und drückte den Anruf weg. Eine trügerische Stille entfaltete sich.
»Noch einmal: Hast du mich verstanden?«
Wie um einen Kontrapunkt zu meinem Klingelton zu setzen, sprach Ebi nun besonders leise und betonte jede einzelne Silbe. In meinem Kopf rotierte es, doch ich konnte einfach keine Antwort fassen, die diesen Angreifer schachmatt gesetzt hätte.
»Give it to me baby, aha, aha« , meldete sich wieder mein Handy. Eine wunderbare Posse. Doch Ebi-san war kein Mann, der sich durch Sinn für Humor beliebt machen wollte.
»HAST! DU! MICH! VERSTANDEN?«
Ich drückte den Anrufer erneut weg, beschloss, dass dieses Treffen zu nichts führen würde, und sprach schließlich zum ersten Mal:
»Ich gehe jetzt besser. Ihnen und Ihren Gästen wünsche ich noch einen schönen Abend.«
Damit drehte ich mich um und öffnete die Tür. Im Gang standen Ebis Gäste, tuschelten und rauchten. Ihre neugierigen Blicke durchbohrten mich, während ich mir langsam meine Schuhe anzog, die Plastikschlappen ordentlich in die vorgesehene Box stellte und mich von dannen trollte.
Kaum hatte mich die Straße wieder, zückte ich mein Handy.
2 missed calls
Mein Herz schlug nun schneller als bei der Konfrontation mit Ebi-san. Ich drückte nervös die Tasten.
Schließlich sah ich Liens Nummer im Display erscheinen.
23.
Man glaubt gerne, dass einen das Leben mit den Jahren immer weniger überraschen kann. Alles schon gesehen, alles schon erlebt. Immer die passende Antwort parat. Wie ein fetter Dampfer schippert man durch sein Dasein und hält den Wogen unbeeindruckt stand. Hat man sich aber just an einen Punkt navigiert, an dem zwei Wellen aufeinanderprallen, nützt einem auch die größte Routine nichts.
Und genau an dieser Stelle trieb ich im Ozean: Von links kam Ebi-san herangerauscht. Eindeutig in seinen Ansagen, unmissverständlich in seiner Feindseligkeit.
Auf der anderen Seite stand Lien, die Frau, die ich liebte - und die ich wegen Ebis Drohungen auf keinen Fall aufgeben wollte.
Obwohl: Stand sie überhaupt noch dort? Nach dem Abhören meiner Mailbox hatte ich zumindest wieder etwas mehr Hoffnung, denn sie wollte sich unbedingt am nächsten Abend mit mir treffen - und etwas in ihrer Stimme verriet mir, dass dies kein endgültiger Abschied werden sollte.
Es ist im Saigoner Feierabendverkehr beinahe unmöglich festzustellen, ob einem jemand folgt. Zigtausende schwarze Haarschöpfe. Zigtausende Motorräder, dicht an dicht in die engen Straßen gequetscht. Wer kann da den Überblick bewahren?
Da mir meine Körpermitte lieb und teuer war, wollte ich um jeden Preis vermeiden, dass mein Nebenbuhler von dem Treffen mit Lien erfuhr. Sobald ich die Ausfahrt des Firmengeländes passiert hatte und selber ein Teil der zäh dahingleitenden Menschenlawine geworden war, stieß ich durch eine kleine Lücke im Gegenverkehr auf die linke Straßenseite und fuhr - in Saigon nicht unüblich - einige Meter als Geisterfahrer am äußersten Rand entlang. Ein Blick zurück - mindestens fünf weitere Fahrer hatten es mir nachgemacht. War einer von ihnen Ebis Scherge? Mit einer abrupten Richtungsänderung bog ich in eine Wohngegend ein, die von unzähligen Gassen geädert war, jede so eng, dass zwei Motorräder sich nur mühsam aneinander vorbeizwängen konnten. Die Fenster und Türen der dicht an dicht gequetschten Behausungen standen sperrangelweit offen, so dass ich das Gefühl hatte, mit der Vespa mitten durch ihre Wohnzimmer zu jagen, in denen gekocht, gesoffen, gestritten und gestillt wurde. Kinder krakeelten, Karaokeanlagen plärrten, Telefone schellten. Gestank und Wohlgeruch mischten sich zu einer eigenwilligen Mixtur. Eine alte Frau saß im Schlafanzug vor ihrem Haus und
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