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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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fehlte, wurde durch seine Menschenliebe wettgemacht. Seine Gemeindemitglieder sah er – wenn er sie überhaupt sah und vor allem, wenn er sich an ihre Namen erinnerte – als leuchtenden Beweis für die Herrlichkeit des Menschengeschlechts. Bei näherer Überlegung hätte er vermutlich erschrocken festgestellt, daß für ihn die Mehrzahl der in den Zehn Geboten angeführten Sünden nichts als geringfügige Vergehen waren, die niemanden als den Betroffenen etwas angingen und ihn selbst schon gar nichts. Wenn er, gezwungen von der Situation oder von seiner Schwester, zugeben mußte, daß es auch Unvollkommenes gab, konnte er sehr böse werden. Herzlosigkeit – die einzige Sünde, die er anerkannte – brachte ihn auf die Barrikaden. So war es ihm jetzt bei dem Postraub ergangen. Miss Treeves hatte viel Mühe und Geduld gebraucht, um ihm klarzumachen, daß es sich hier nicht nur um eine Meinungsverschiedenheit über den Käsepreis handelte, sondern um einen bewaffneten Raubüberfall, bei dem geschossen worden war. Raub war etwas Häßliches; Gewalt noch häßlicher, aber Schießen unter Gefährdung von Menschenleben war nun wirklich das denkbar Häßlichste. Arthur Treeves war sehr zornig und fest entschlossen, das Seine zu tun, damit dieser Fleck von seiner Gemeinde verschwand. Er hatte angenommen, der Überfall auf die Poststelle werde auf der heutigen Sitzung als Hauptthema zur Sprache kommen, und hatte sich vorgenommen, nicht weich zu werden. Er hatte auch Lobeshymnen für Miss Seeton wegen ihres mutigen Einsatzes erwartet, den er sehr bewunderte, und er war bereit gewesen, in den Chor einzustimmen. Doch irgendwie klangen die Stimmen zwar laut, aber gehässig und unharmonisch, was er gar nicht begriff. Unruhig wühlte er in dem Häufchen Briefe, das vor ihm lag; auch sie gingen über seinen Horizont. Die meisten befaßten sich mit Miss Seeton. Sie wurde abwechselnd dargestellt als Jungfrau von Orleans, als Mata Hari – sicher ein Filmstar, er kannte den Namen nicht –, als Florence Nightingale und als Jezabel; das letzte konnte, was immer der Schreiber hatte sagen wollen, nur eine grundfalsche Auslegung des Alten Testaments sein. Ganz unten lag ein kurzes unverständliches Schreiben des alten pensionierten Obersten, der neben dem George and Dragon wohnte und dort den größten Teil seiner Zeit verbrachte; es lautete:
     
    An den Kirchenrat von Plummergen
    Sehr geehrte Herren,
    Colonel Windup teilt Ihnen höflichst mit, daß die Frau eine Landplage ist.
     
    »Die Frau ist eine Landplage«, verkündete Detective Inspector Brinton vom C. I. D. in Ashford. Er hatte Miss Seetons Skizze von Effie Goffer vor sich und blickte auf. »Ich bitte Sie, Orakel, bringen Sie sie lieber nach London zurück. Wir werden hier einfach nicht mit ihr fertig. Sie hat uns schon letzten Sommer reichlich zu schaffen gemacht; dann hat sie offenbar Winterschlaf gehalten, und jetzt, wo der Frühling kommt, steigt ihr der Saft und sie wetzt schon wieder ihr Messer. Wissen Sie, bei uns geht es sonst ganz gemütlich zu; wir verstehen uns mit den Spitzbuben hier – sie verüben ihre kleinen Gaunereien, dafür nehmen wir sie dann fest, und keiner nimmt dem andern das übel. Aber sie braucht nur einmal irgendwo aufzutauchen und mit dem Schirm zu winken, dann haben wir’s mit Schwerverbrechen zu tun. Woran liegt das bloß? Sie ist wie ein Magnet – zieht Gewalttaten an wie ‘n Taubenschlag die Tauben. Ich habe sie nie kennengelernt, aber ich bin überzeugt, sie kocht das alles selbst zusammen, einfach aus Spaß an der Gaudi.«
    Delphick lachte. »Damit sprechen Sie den Dorfbewohnern aus der Seele, Chris. Die meinen fast alle, wo sie nicht selbst die Täterin ist, da steckt sie mindestens mit dahinter.«
    »Sehr verständlich.« Brinton nahm einen Aktendeckel zur Hand mit der Aufschrift Poststelle Plummergen und schlug ihn auf. »Also: Sie haben uns gewarnt, daß ein Überfall auf die Poststelle bevorstehe. Und wieso? Wegen dieser Zeichnung hier.« Er tippte auf die Skizze. »Ich verstehe allerdings nicht, wie man daraus irgend etwas entnehmen will – außer, daß sie nicht zeichnen kann. Schön. Wir stellen fest, daß der Überfall schon im Gange ist. Gut – wir schicken unsere Leute hin. Und was finden sie? Ihre Freundin, die gerade in die Poststelle hineingehen will, in der einen Hand die Moneten, in der andern die Pistole. Also auf frischer Tat ertappt und prompt verhaftet? Pustekuchen: Bloß weil sie es ist, ist natürlich alles ganz

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