Miss Seeton kanns nicht lassen
ein Ring? Moment mal…. ja, stimmt, ein Ring fehlte; aber bei einem offenen Sack, in den die Sachen augenscheinlich einfach hineingestopft worden waren, war es tatsächlich erstaunlich, daß nicht mehr herausgefallen und nur ein kleiner Ring verlorengegangen war; auch den würde man vermutlich später noch finden, irgendwo im Lastwagen eingeklemmt oder auf der Landstraße. Jetzt ließ sich der Superintendent die Privatnummer von Chief Inspector Brinton geben und rief ihn an. Brinton war nicht gerade entzückt. Delphick meinte, man solle mit der Anklage gegen den jungen Hosigg noch etwas warten, bis man weitere Untersuchungen angestellt habe. Brinton, um halb zwei Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen und nicht mit allen Fakten vertraut, war einer Explosion nahe. Worauf, um Himmels willen, wollte Delphick noch warten? Ein Mann war auffrischer Tat erwischt worden, und dann sollte man noch warten? Was für weitere Untersuchungen^ Hatten sie in Ashford nicht alles für Delphick geklärt? Hatte er nicht seine alte Freundin heil und unversehrt zurückbekommen? Dann war doch wohl alles in Butter – was wollte er denn noch? Endlich lag hier mal ein schöner glatter Fall vor, in dem Miss Seeton ausnahmsweise nicht mit ihrem Schirm herumgestochert hatte, um dann das Verlorene triumphierend dem Täter wieder abzujagen. Also –?
Delphick war zerknirscht. »Das ist es ja gerade, Chris. Ich bin noch nicht ganz sicher, aber ich halte es für möglich, daß sie genau das getan hat. Sie hat hier einen Ring, und es ist durchaus möglich, daß das der fehlende Ring ist.«
»Und was sagt sie dazu?«
»Das ist es ja – sie kann nichts sagen. Ich werde sie im Lauf des Vormittags fragen.«
»Warum nicht jetzt?«
»Kann ich nicht, Chris. Sie schläft.«
»Aha. Sie schläft, wie schön. Und aufwecken kann man sie natürlich nicht. Wir müssen uns also alle gedulden, weil die Dame zu schlafen geruht, was?«
Delphick begann zu verstehen, daß Erklärungen zuweilen nicht einfach abzugeben waren. Auch Miss Seeton ging es ja so. »Ganz so einfach ist es nicht, Chris. Sie ist nämlich – also sie ist – äh – betrunken. Ja.«
»Sie ist was?« bellte Brinton.
»Ja«, sagte Delphick hastig. »Ich habe den Arzt gerufen.«
»Aha. Na schön, sie ist also betrunken, und Sie haben den Arzt gerufen. Großartig. Das werd’ ich mir merken – wenn ich mir nächstesmal einen angedudelt habe, werd’ ich meiner Frau sagen, sie soll nicht lange schimpfen, sondern gleich den Tierarzt rufen.« Ein tiefer Seufzer kam durchs Telefon. »Also gut, Orakel – ich tu’ Ihnen den Gefallen und gebe Anweisung, daß man in Brettenden einstweilen nichts unternehmen soll. Aber tun Sie mir auch einen Gefallen: Wenn Ihre Lady wieder ansprechbar ist, möchte ich eine wasserklare Aussage haben.« Er legte auf.
Der Sergeant blickte seinen Vorgesetzten mit großen Augen an. »Sie meinen, Miss Seeton ist beschwipst, Sir? Das glaube ich nicht. Ich meine, das täte sie niemals. Ich meine…«
»Ich weiß, was Sie meinen, Bob«, sagte Delphick müde. »Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Sie ist blau.«
»Sie rührt aber gar keinen Alkohol an, Sir. Und außerdem: Wo soll sie ihn denn herhaben?«
»Das ist es ja gerade, Bob. Wenn wir das wüßten, dann wüßten wir sicher noch sehr viel mehr.«
Delphick griff gerade noch einmal zum Telefon, als Dr. Knight eintraf. Bevor er mit dem Arzt nach oben ging, gab er Bob Anweisung, als erstes in Brettenden anzurufen und festzustellen, ob der junge Hosigg Whisky bei sich oder im Wagen hatte, sodann sich Miss Seetons Kleider in der Küche anzusehen und an dem ausgespülten Glas zu riechen, um herauszufinden, ob es Spuren von Whisky enthielt.
Dr. Knight war nur kurz oben im Schlafzimmer und kam wohlgelaunt wieder nach unten. Es könne sicher nicht schaden, meinte er, wenn die Polizei von ihren Angehörigen ein paar elementare Kenntnisse in Erster Hilfe verlangte. Dann würden sie vielleicht so simple Tatbestände wie den vorliegenden selbst erkennen können: wenn nämlich jemand offensichtlich beim Zahnarzt gewesen war, um sich einen Zahn ziehen zu lassen. So lag der Fall mit der Patientin oben. Der Arzt hatte den Zahn gezogen und ihr dann ein schmerzstillendes Mittel mit auf den Weg gegeben – ein Barbiturat vermutlich –, das sie zusammen mit Alkohol eingenommen hatte. Das hatte sie umgeworfen. Und anstatt sie durch Rütteln und alberne Reden zu stören, hätte man sie besser in Ruhe gelassen, damit sie das Mittel
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