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Miss Seeton riskiert alles

Miss Seeton riskiert alles

Titel: Miss Seeton riskiert alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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dann würde man vielleicht nützlich sein können.
    Es klopfte und eine kleine, rundliche Frau trat ein, die weißen Haare glatt zurückgekämmt und zu einem festen Knoten aufgesteckt, mit scharfen schwarzen Augen und Wangen wie verschrumpfte Äpfel. Deirdre ging, um sich umzuziehen. Helen – oder vielmehr Helene, wie man sie rief – bestand zu Miss Seetons größter Verlegenheit darauf, den Koffer auszupacken. Sie brach in Begeisterung aus, als sie Miss Seetons bestes Kleid sah, das sie vorsichtshalber eingepackt hatte. Es war ein kleines Abend- oder Cocktailkleid. Während Helene die Falten des grauen Stoffes glättete und die purpurne und schwarze Perlenstickerei prüfte, rief sie sehnsüchtig aus, es müsse zweifellos, ganz ohne Zweifel, aus Paris sein. Es war tatsächlich dort als Abschiedsgeschenk von jemandem gekauft worden, der guten Grund hatte, Miss Seeton dankbar zu sein.
    Helene führte Miss Seeton bis zum Ende des Ganges, bog rechts ein und brachte sie einige Türen weiter in ein umgebautes Zimmer, das der Stolz der siebziger oder achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gewesen sein mußte. Sie zog die ausgeblichenen Samtvorhänge vor die Fenstertür, während Miss Seeton ehrfürchtig die größte Badewanne bestaunte, die sie je gesehen hatte. Von der Empore aus, auf der sie stand, beherrschte sie in ihrer Länge von bald drei Metern – die Mahagoniverkleidung nicht mitgerechnet – den ganzen Raum und jeden mickrigen Menschen, der es wagte, hineinzuklettern. Helene schritt die Stufen zur Empore hinauf und drehte einen Wasserhahn auf. Er gluckste, verhielt sich eine Weile ruhig, gab eine Wolke Dampf von sich, gluckste wieder und, nachdem er sein Inneres gesäubert hatte, spie er plötzlich einen Strom heißes Wasser aus.
    »Erlauben Madam, daß ich offen rede?«
    Miss Seeton deutete an, daß sie es erlaube.
    »Dann müssen Madam verstehen«, begann sie entschuldigend, »daß man Zeitungen liest und Miss Deirdre schon von klein auf kennt – daß man Kinderfrau und Vertraute ist. Daher weiß man, daß es keine Lehrerin Ihres Namens an der Schule Highfold gegeben hat. Deshalb«, sie zögerte, weil sie nicht verletzen wollte, »ist es klar, daß der heutige Besuch – Sie werden verzeihen? – eine kleine Täuschung ist. Natürlich«, fügte sie hastig hinzu, »man wird nichts sagen – auch mein Mann nicht. Wir können Madam nur Erfolg wünschen, und«, sagte sie eindringlich, »wenn Sie Hilfe brauchen, dann sagen Sie es bitte. Man wird sein Möglichstes tun – und selbstverständlich mein Mann auch. Sogar wenn das heißen müßte«, ihre Lippen verzogen sich nach unten, und sie zerdrückte ihre Schürze, »daß Master Derrick…« Sie ließ die gequälte Schürze los und hob ihre Hände. »Oh, das ist ein Problem – schon immer war er ein schlechter Mensch, sogar als kleiner Junge. Oh, die Geschichten, die man erzählen könnte . « Sie ging hinaus, und die Tür schloß sich hinter ihr.
    Auf ihrem Weg nach unten fand Miss Seeton Trost in dem Gedanken, daß außer Deirdre noch jemand im Haus von dem Schwindel wußte. Eigentlich sogar zwei Leute, denn vermutlich gehörte Helenes Mann dazu. Sie wußten es nicht nur, sondern sie billigten es unverhohlen, obwohl ihr die Gründe dafür weniger klar waren. Sie wußte zwar, daß ihr Name unglücklicherweise in einem Artikel über den Tumult vor dem Kasino in der vergangenen Woche erwähnt worden war; aber das konnte kaum als eine Empfehlung betrachtet werden. Dann wußte sie auch nicht, auf welche Weise ihr diese beiden freundlichen Alten helfen sollten oder welche Umstände möglicherweise eintreten konnten, so daß Hilfe notwendig wäre. Es war jedoch herzlich erwärmend, gleichgestimmte Seelen in der Nähe zu haben.
    Es stellte sich heraus, daß Lord Kenharding etwas älter war, als Miss Seeton erwartet hatte. Er kam ihr entgegen, um sie zu begrüßen, hoffte, daß sie eine gute Reise gehabt habe und Deirdre nicht zu schnell gefahren sei. Er hoffte auch, daß ihr Zimmer bequem sei und sie alles habe, was sie benötige. Er war reserviert, sein Gesicht müde und abgespannt. Miss Seeton dachte, während sie ihm antwortete, daß sehr gut Schmerzen der Grund für sein Aussehen sein könnten, denn sein linker Arm trug einen Gipsverband und lag in einer Schlinge. Deirdre betrachtete anerkennend Miss Seetons Kleid, holte auf Wunsch Tomatensaft und setzte ihre Mutter und ihren Gast zusammen auf das Sofa beim Kamin. Lady Kenharding, eine hübsche Frau, die zu

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