Miss Seeton riskiert alles
Schlimmste zu wissen, ehe…« Ihre Stimme schwand dahin. Da entschuldigte sich Miss Seeton, schützte Müdigkeit vor und zog sich auf ihr Zimmer zurück. Sie war traurig bei dem Gedanken, daß diese höchst sympathische Familie ein schwarzes Schaf beherbergte, diesen Derrick, der nichts anderes zu sein schien als – aus ihrem meist gütigen Herzen kam das größte Schimpfwort – nichts anderes als ein junger Taugenichts.
5
Derrick Kenharding rekelte sich in einem Sessel. Seine Empfindungen schwankten zwischen Furcht und einem Gefühl der Wichtigkeit. Seine Hand in der Tasche preßte eine Federklammer, die darauf mit einem metallischen Klicken reagierte.
Das Geräusch reizte Thatcher. »Laß das! Niemand von deiner Bande ist hier, den du rufen kannst, und deine kindischen Zeichen und Losungsworte machen auf Erwachsene keinen Eindruck.« Zu Thatchers Zufriedenheit errötete der Junge. Man mußte den Knaben nur zurechtstutzen. Gibt man einem dieser Kinder einen Job, dann sehen sie sich gleich auf einem Thron sitzen. »Bist du ganz sicher, daß du unbemerkt einen Mann ins Haus schleusen kannst?«
»Sagte es Ihnen schon«, murmelte Derrick. »Einfach.«
»Und er kommt unentdeckt wieder hinaus?« Der Junge lachte kurz auf. »Liegt an ihm. Solange er nicht sein Taschentuch vergißt oder einen Zettel hinterläßt, ist es ganz einfach.«
Thatcher war nicht in der Stimmung, über solche Scherze zu lachen. Miss Seeton war aus dem Goldfisch entkommen, ohne den geplanten Unfall gehabt zu haben, bei dem sie eine Hand oder ein Handgelenk brechen sollte, während man ihr die Juwelen und den Spielgewinn stahl. Der Überfall hätte so aussehen können, als sei er zufällig von draußen organisiert worden. Das Kasino hätte nicht mit hineingezogen werden müssen. Seine Stimmung wurde gereizt bei dem Gedanken, daß er zum Teil für den Fehlschlag verantwortlich war. Er hatte es nicht lassen können, ihr anzudeuten, daß er der wirklichen Mrs. Herrington-Casey begegnet war, und hatte in scheinbar ungezwungener Unterhaltung verschleierte Drohungen ausgestoßen. Ihre Reaktion darauf war gewesen, daß sie absichtlich den Portier aufhielt – und Haley, der nur Trunkenheit vorgetäuscht haben konnte, hatte ihre beiden Angreifer niedergeschlagen. Nur Morden, der Fahrer, war geflohen. Hinzu kam noch die Anwesenheit des Orakels vom Yard auf der Szene. Sie mußte bedeuten, daß der Besuch ein doppelter Bluff gewesen war – eine Falle, in die er einfach hineingetappt war. Nach allem, was er über Miss Seeton gehört und gelesen hatte, war ihm klar, daß die Polizei die elende Person als Frettchen benutzte, sie in die Kaninchenlöcher hinunterjagte und dann darauf wartete, daß sie ihre Beute aufscheuchte. Sie hatte auch richtig zwei seiner Kaninchen aufgestöbert und sie einsperren lassen. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden sie singen. Ihm persönlich konnten sie nichts anhaben. Aber sie würden unvermeidlich den Goldfisch und seine Angestellten mit hineinziehen. Er erkannte, daß es jetzt zu spät war, sie zu hindern, eine Skizze von seinem Gesicht zu machen – falls er tatsächlich richtig geraten hatte, daß dies ein Teil des Planes war, der hinter ihrem Besuch im Kasino steckte. Aber ihr neuer Schachzug… Er sah finster aus, während er über die Schnelligkeit nachdachte, mit der diese Frau arbeitete. Kein Wunder, daß sie einen so guten Ruf hatte. Dieser plötzliche vertraute Umgang mit Deirdre, der sogar so weit ging, daß sie eine Einladung in die Abbey zustande brachte, konnte gefährlich sein. Sie konnte Lord Kenharding – bei dem eine Befragung von offizieller Seite mißlingen würde – dahin bringen zu reden. Sie konnte auch seine Frau bearbeiten und auf Einladungen zum Tee aus sein und sich um Sympathien bemühen. Vielleicht hatte sie sogar Wind von dem Coup beim Rennen am Montag bekommen und schickte sich an, ihnen einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Vor allen Dingen jedoch hatte sie etwas Unverzeihliches getan – sie hatte ihn lächerlich gemacht. Er hatte einen Anflug von Belustigung auf dem Gesicht des Kasinodirektors bemerkt, als sie von dem mißglückten Überfall erfuhren. Er hatte die Hoffnung des Mannes gespürt, den Klauen des Syndikats entgehen zu können. Keine Operation gelang, wenn man die Opposition nicht vernichtete. Miss Seeton zu erledigen würde die Burschen bei der Stange halten.
»Du weißt, in welchem Zimmer sie schläft?«
»Ja . « Derrick grinste. »Dort spukt es. Gäste
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