Miss Seeton riskiert alles
hatten. Vielleicht konnte sie, wenn sie der Unterhaltung eine geschickte Wendung gab, die schwierige Frage umgehen.
»Ich versichere Ihnen, das Bett ist äußerst bequem. Und die Wärmeflasche, die Helene hineingelegt hatte – übrigens sehr aufmerksam –, hat mich sehr erwärmt. Ein bemerkenswertes Paar, sie und ihr Mann, sehr freundlich und – äh – behilflich.«
»Ich freue mich, daß Sie dieser Ansicht sind. Helene kam ursprünglich als Kammerzofe zu meiner Mutter und heiratete Timson, der damals Diener war. Sie hätten schon vor Jahren pensioniert werden müssen. Sie weigern sich jedoch, dies auch nur in Erwägung zu ziehen. Ich muß auch zugeben, daß das, was ich als Pension geben könnte, ihren Verdiensten nicht gerecht würde. Wir wären ohne sie verloren.« Miss Seeton atmete auf. Es war gelungen, die Unterhaltung auf ein anderes Thema zu bringen. Lord Kenharding fuhr fort: »Ich sah Timson in der vergangenen Nacht mit einem Schürhaken aus Ihrem Zimmer treten. Bitte«, fügte er hinzu, als Miss Seeton sprechen wollte, »mir kam überhaupt nicht der Gedanke, daß es sich um so etwas wie ein Stelldichein handeln könnte. Ich vermutete nur, daß er – äh – behilflich war.«
Oh! Miss Seeton sah ein, daß, wie immer sie sich auch wand und drehte, Lord Kenharding ihr entschlossen in den Weg treten würde. Sie war wie ein Tor, das sie öffnen mußte. Sie starrte in der Hoffnung auf eine Erleuchtung ein Krautbeet an, das in Samen geschossen und voller Unkraut war. Es gab ihr jedoch nichts anderes ein als den Wunsch, es mit einer Grabgabel zu bearbeiten. Sie schob ihre Schirmkrücke auf den Arm und zupfte an den Fingern eines Handschuhs – auch dabei kam ihr keine Idee. Schließlich sah sie ihm offen in das ernste Gesicht mit dem humorvollen Mund und den feinen Lachfalten um die Augen. Sie lächelte.
»Sollen wir mit dem Anfang beginnen?« schlug ihr Gastgeber vor.
»Sie haben Deirdre niemals unterrichtet. Sonst hätte sie nach meiner Überzeugung mehr gelernt, als ziemlich schlechte Strichmännchen zu malen.«
Da erzählte sie ihm von ihrem Besuch im Goldfisch und alles, was sie in diesem Zusammenhang wußte, ohne daß er sie unterbrach, bis sie zu der Gespenstergeschichte kam.
»Derrick?«
»Ja.«
»Wie dumm von mir. Ich kenne natürlich das Priesterversteck. Solange die Kinder klein waren, haben wir es ihnen nicht verraten – Kinder können nämlich gedankenlos sein. Es hätte beim Versteckspielen ein Unfall passieren oder jemandem auf einer Party ein böser Schrecken eingejagt werden können. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen – ich hatte das Versteck ganz vergessen. Ich möchte gern wissen, wie Derrick es fand – und wann.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Es erklärt vieles. Ich wußte aber nicht, daß es auch einen Ausgang gab. In älteren Häusern wie dem unsrigen, in denen dicke Wände dies erlaubten, wurde manchmal ein Ausgang eingebaut. Es war verhältnismäßig selten.«
»Sie werden Deirdre doch nicht tadeln, weil sie mir von dem Unfall mit dem Wagen erzählt hat? Sie hat wirklich versucht, ihr Bestes zu tun. Sie war sehr um Sie und Lady Kenharding besorgt. Ich glaube auch, daß sie unglücklich über ihren Bruder ist, obwohl sie es sich nicht anmerken läßt.«
»Nein, ich werde sie nicht tadeln. Jugend hat die Ungeduld – Sie können es Mut nennen –, die Alter und Erfahrung dämpfen können. Ich war über den Unfall mit dem Wagen sehr erschrocken – nicht meinetwegen, sondern aus Sorge um meine Frau und meine Tochter.« Sein Mund preßte sich zusammen. »Thatcher rief mich nach dem Unfall an. Er strömte über vor Anteilnahme, gratulierte mir, daß ich solches Glück gehabt hätte. Er wies jedoch darauf hin, daß meine Frau und Deirdre verletzbarer seien als ich und sie vielleicht, wenn ich mich seiner Kasinoleitung weiterhin widersetze, nicht so gut wegkämen. Theoretisch wissen wir vielleicht, daß es unmoralisch und töricht ist, einer Erpressung – ob sie sich gegen eine Gruppe oder gegen einen einzelnen richtet – nachzugeben. Aber es ist schwierig, die Theorie in die Praxis umzusetzen, wenn man vor Tatsachen gestellt wird und die Prinzipien vom Gefühl weggeschwemmt werden. Die Regierung, die sich aus politischen Erwägungen Lösegeld erpressen läßt, die Fluglinie, die zahlt, weil mit einem Bombenattentat gedroht wird, der Mann, der unter Druck sein Geld hergibt oder schweigt – sie alle erkaufen zu wenig Zeit zu einem zu hohen Preis. Sie gefährden die
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