Miss Seeton riskiert alles
und es war sehr windig. Sie hoffte sehr, es würde nicht regnen. Es wäre wirklich schade. Und was passierte, wenn es doch regnete? Warteten sie, bis es aufhörte? Oder verschoben sie es auf einen anderen Tag? Die Reiter in diesen dünnen Blusen waren dem Wetter so ausgesetzt. Und dann auch die Pferde. Wenn es feucht war, konnten sie leicht ausgleiten. Oder fallen! Kaum zu glauben, daß man so wertvolle Tiere solchen Gefahren aussetzen würde. Sie versuchte, sich an Gemälde von Pferderennen zu erinnern, aber ihr fielen nur Derby Tag von Frith und Der Start in Newmarket von Munnings ein, und auf beiden war schönes Wetter. »Werden Sie wetten?« fragte Deirdre. »Du meine Güte, nein! Ich verstehe nichts davon.«
»Nun, ich werde auf einen Außenseiter setzen – Platz und Sieg. Der Favorit wird zwar gewinnen, aber bei niedrigen Einsätzen lohnt es sich nicht. Einen Augenblick.«
Die Fotografen hatten schon verschiedene Aufnahmen von Deirdre gemacht. Sie hatte das Gefühl, daß sie ihre Pflicht für das Geschäft getan hatte. Sie schlug sich die Unruhe um ihren Bruder aus dem Kopf und war entschlossen, sich zu amüsieren.
Miss Seeton blieb bei den Sattelplätzen. Sie war froh, daß sie die Abbey verlassen hatte. Sie hatte sich strikt geweigert, zum Tee zurückzukehren. Ihr Koffer war schon im Wagen. Deirdre würde sie am Spätnachmittag nach Plummergen fahren.
Der Sonntag war – wie sie es im Geist nannte – ein unangenehmer Tag gewesen. Der Sohn war nicht zum Mittagessen erschienen. Nachmittags war Tom Haley mit der Nachricht gekommen, daß Derrick Kenharding wegen Teilnahme an einem Raub mit Gewaltanwendung angeklagt worden sei. Über Nacht werde er eingesperrt, und am Morgen müsse er vor dem Richter erscheinen.
Auch für die Polizei von Guildford hatte sich der Sonntag als ein unangenehmer Tag erwiesen. Die Ankunft des mit Draht umwickelten Morden in den frühen Morgenstunden war – obwohl ungewöhnlich – unkompliziert verlaufen, wie auch Constable Haleys Berichterstattung, die teilweise von Miss Kenharding bestätigt wurde. Aber von da an waren Komplikationen aufgetreten. Die später von Miss Seeton und den beiden Bediensteten gemachten Angaben trugen wenig zur Klärung bei. Welche Anklage sollten sie gegen Morden erheben? Miss Seetons Theorie bezüglich der Juwelen, die sie in Wirklichkeit gar nicht besaß, leuchtete ihnen eher ein als die weithergeholten Hinweise Haleys über eine Entführung oder Mord. Eine Festnahme wegen Einbruch war unmöglich. Haley bezeugte nämlich, daß Morden nirgendwo eingebrochen, sondern vom Sohn des Hauses hineingeführt worden war. Versuchter Raub berücksichtigte die Watte nicht. Versuchter Raub mit Gewaltanwendung setzte unter anderm voraus, daß zwei oder mehrere Personen beteiligt waren. Aber der junge Kenharding hatte das Zimmer verlassen, ehe der Überfall stattfand, und konnte Unkenntnis der verbrecherischen Absicht geltend machen; tatsächliche Gewaltanwendung? Die einzige wirkliche Gewaltanwendung war durch Haley an Morden geschehen. Gebrauch einer Waffe? War denn Watte im Sinne des Gesetzes eine Waffe?
Obwohl fünf Leute darauf schworen, konnten sie die Watte als Beweismittel nicht vorlegen, da Haley dem Hausmädchen erlaubt hatte, sie zu verbrennen. Ohne die Watte blieb ihnen nur die Flasche mit Äther. Der Verteidiger würde wahrscheinlich erklären, Morden liebe den Alkohol oder er brauche ihn gegen Schuppen oder irgend etwas Albernes, das bei den Geschworenen Zweifel aufkommen ließ. Ohne Haleys Aussage über die Ereignisse hätten sie einen einfachen Einbruch gehabt und so getan, als ob sie glaubten – worauf sein Verteidiger ganz bestimmt verweisen würde –, daß man dem Jungen ohne dessen Wissen ins Haus gefolgt war. Kurz gesagt, sie wünschten Haley und alle seine Aussagen überallhin, nur nicht in die Nähe von Guildford. Seine Kollegen rächten sich, indem sie ihn zurück zur Abbey schickten, um die Familie über die Verhaftung ihres Sohnes und Erben in Kenntnis zu setzen.
Montag morgen war für Miss Seeton nicht weniger unangenehm gewesen. Sie brauchte nicht vor Gericht zu erscheinen, wofür sie dem Himmel dankte, auch die Timsons und Deirdre nicht. Nur Tom Haley war als Zeuge geladen. Morden wurde weiter in Untersuchungshaft behalten, da die Polizei eine Kaution ablehnte. Derrick Kenharding wurde gegen eine Kaution seines Vaters von fünfhundert Pfund auf freien Fuß gesetzt. Trotz aller Bemühungen der Kenhardings konnte Miss Seeton das
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