Miss Seeton und der Hexenzauber
verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Dorf. Fast alle wollten dabeisein – so etwas durfte man einfach nicht verpassen.
Das war mit Sicherheit besser als das Erntedankfest. Man sprach sich mit denen, die ein Auto besaßen, ab und entschied, wer mit wem fahren sollte; einige würden ihre Fahrräder benutzen, andere wollten frühzeitig aufbrechen und zu Fuß gehen. Thermoskannen wurden mit Tee gefüllt und Sandwiches belegt. Die Mütter der Kinder, die im Kirchenchor sangen, wurden instruiert, ihren Kleinen früh ein Abendessen zu machen und sie ins Bett zu schicken, damit man sie vor Mitternacht mit Kakao und süßen Brötchen – der Bäcker war restlos ausverkauft – wecken konnte. So waren die Kinder rechtzeitig an Ort und Stelle, um in entscheidendem Moment eine Hymne zu singen, die den Geistern eisige Schauer über den Rücken jagen sollte.
Das Dorf freute sich auf das größte Ereignis seit Monaten.
Selbst Sir George, den Molly Treeves informiert hatte, daß sich etwas zusammenbraute, beschloß, hinzugehen und dem Pfarrer den Rücken zu stärken. Und außerdem, wie Nigel so schön sagte, wenn schon so bescheuerte Dinge vor sich gingen, wieso sollten sie sich dann den Spaß entgehen lassen?
Foxon überlegte, ob er sich versetzen lassen konnte.
Noch mehr von diesem Blödsinn, und er quittierte den Dienst. Er hatte die Nase voll. Erst diese Versammlung, und jetzt sollte er die arme alte Frau in einer kalten Septembernacht in eine verlassene Kirche zerren und sich dort einen Schnupfen holen, während er darauf wartete, daß sie »einen Eindruck« oder »eine Eingebung« bekam.
Eine Lungenentzündung würde sie bekommen, nichts anderes. Ihm war es egal, ob Miss Seeton dafür bezahlt wurde oder nicht, sie hatten kein Recht, so was von ihr zu verlangen. Und sie beschwerte sich mit keinem Wort – sie schien zu denken, daß sie alles tun mußte, was man ihr sagte. Aber es war nicht richtig, wirklich nicht. Der alte Brinton sollte sich mal sein Gehirn untersuchen lassen.
Die betagte Dame war – wie hieß das treffende Wort? – heldenhaft, das war’s. Foxon kochte innerlich. Na, er hatte sein Bestes getan. Er hatte sich ihre Aufmachung für den nächtlichen Ausflug angesehen und befunden, daß es so nicht ging. Deshalb hatte er einen alten blauen Dufflecoat von Potters Frau ausgeliehen und darauf bestanden, daß Miss Seeton ihn anzog. Er war ihr viel zu groß, und wenn sie die Kapuze aufsetzte, war überhaupt nichts mehr von ihr zu sehen, aber wenigstens hielt er sie warm. Ihm war noch eingefallen, ein Lederpolster zu organisieren, damit sie es bequemer hatte. Aber ansonsten konnte er nicht viel tun, außer das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er hielt sich auf dem Pfad zum Kirchenportal ganz am Rand, um mit seiner Taschenlampe den Boden für seine Begleiterin zu beleuchten. Miss Seeton folgte ihm in dem viel zu langen blauen Mantel. Der Weg machte einen unerwarteten Knick, Foxon geriet auf den Grasrand, stieß mit dem Fuß an einen Grabstein, versuchte, sich mit einem wilden Tanz auf den Beinen zu halten, stolperte erst recht und schlug der Länge nach hin.
Die Taschenlampe rutschte ihm aus der Hand und zerbrach klirrend auf einem Grabstein. Heroisch unterdrückte er seine Gefühle und die harschen Worte, die ihm auf der Zunge lagen. »Passen Sie auf, daß Sie diesmal nicht über Ihre eigenen Füße stolpern«, hatte der erste Befehl gelautet. Schön, dagegen hatte er verstoßen. Das nächste auf der Liste war: »Reißen Sie nicht gleich das ganze Gebäude ein.«
Miss Seeton war außer sich vor Sorge. »Oh, Sie Ärmster, haben Sie sich weh getan, Mr. Foxon?«
»Nein, kein bißchen«, log er. »Ich habe mir nur das Kreuz ein paarmal gebrochen. Schade um die Taschenlampe – jetzt werden wir wohl im Dunkeln auf allen vieren weiter kriechen müssen.«
Miss Seeton kramte unter ihrem dunkelblauen Mantel und öffnete ihre Handtasche. Wirklich – die Gewohnheit der Landbewohner war ausgesprochen zweckmäßig … Sie beförderte ihre kleine Taschenlampe zutage. Ein bleistiftdünner Lichtstrahl durchstach die Dunkelheit, und, auf diese Weise erleuchtet, setzten Foxon und Miss Seeton ihren Weg fort.
Als sie im Inneren der Kirche angelangt waren, stellte sich Miss Seetons Taschenlampe als weniger hilfreich heraus. Sie wies ihnen zwar den Weg zum Mittelgang und zeigte die Schnitzereien an den Bänken, aber sie warnte nicht vor morschen Bodenbrettern. Miss Seeton und Foxon tasteten
Weitere Kostenlose Bücher