Miss Seeton und der Hexenzauber
sich vorwärts und stolperten einige Male, ehe sie die Mitte des Raumes erreicht hatten. Foxon probierte, ob die Bänke bequem genug waren. Sie bestanden den Test nicht. Die harte, viel zu schmale Sitzfläche, die gerade Lehne – nein, so etwas wurde schon nach kürzester Zeit zum Folterinstrument, und die alte Dame würde gar keine Eindrücke bekommen, sondern nur ein taubes Hinterteil. Er ließ Miss Seeton zurück, als er das Terrain weiter sondierte. Die Kanzel war unbrauchbar, da die Stufen verrottet waren. Auf dem Weg durchs Hauptschiff kam er am Chorstuhl vorbei und entdeckte in dem dünnen Lichtstrahl eine Lücke in dem Altargitter.
Dahinter mußte der Hochaltar sein, der nützte ihnen nichts, deshalb wandte sich Foxon nach rechts. Er leuchtete nach oben und sah eine Messingstange – der Wandteppich war seitlich ein Stückchen heruntergerutscht –, die in einem bizarren Winkel an einer schief an der Wand lehnenden Säule hing. Offenbar war das Allerheiligste früher von diesen Wandteppichen eingerahmt gewesen, die so weltliche Dinge wie eine Tür, eine Reihe von Kleiderhaken und zwei Stühle verdeckt hatten. Einem dieser Stühle fehlte ein Bein, der andere war intakt und belastbar. Foxon holte Miss Seeton und fragte sie, wo sie sitzen wollte; an der Wand? Oder lieber in der Mitte? Miss Seeton war unsicher; sie wußte nicht, wo sie sich postieren sollte, und genausowenig wußte sie, was man eigentlich von ihr erwartete. Foxon erklärte ihr noch einmal, daß der Chief Inspector sie bat, sich eine Weile hier aufzuhalten und die Atmosphäre der Kirche bei Nacht zu ergründen – einen Eindruck zu gewinnen. Miss Seeton war skeptisch. Es sei, so machte sie deutlich, in gewisser Weise ein wenig schwierig, einen exakten Eindruck von einer Kirche zu erhalten, die man nicht sehen konnte. Aber andererseits, wenn sie Glück hatten, kam der Mond heraus, dann könnte man natürlich das Gebäude als Ganzes in seinem Licht sehen. Daher wäre es in diesem Fall wohl klüger, ein wenig weiter vorn und seitlich zu sitzen, wo man einen besseren Überblick hatte – vorausgesetzt, sie hatten Glück.
Foxon holte den ganzen Stuhl, staubte ihn mit seinem Ärmel ab und stellte ihn hinter den herunterhängenden Wandteppich, weil er hoffte, daß hier der Luftzug nicht ganz so scharf und kalt war. Er legte das Lederpolster zurecht, und Miss Seeton nahm Platz. Dann suchte er ein wenig herum, fand das fehlende Bein des anderen Stuhls, und nachdem er es notdürftig in das eingestanzte Loch unter der Sitzfläche gepaßt hatte, klemmte er den Stuhl so in den Winkel zwischen Säule und Wand, daß er nicht umkippen konnte. Er setzte sich und übte sich in Geduld.
Der Tod und die Herz-Dame – und sehr bald. Miss Wicks zog die Wollstola fester um ihre Schultern. Wen konnten die Karten meinen? Es wäre töricht, sich zu ängstigen, weil Kartenlegen eigentlich nur die Abwandlung einer Patience war, aber dies war die sechste Konstellation dieser Art in Folge – die Botschaft war immer dieselbe. Das Pik-As lag jedesmal direkt neben der Herz-Dame. Und das Ereignis mußte bald eintreffen.
Unheimlich. Sollte sie aufhören?
Die alte Lady sammelte die Karten ein und mischte sie neu. Sie war, wie so oft, allein. Die Leute gingen einer privaten Unterhaltung mit Miss Wicks wenn möglich aus dem Weg. Wie viele Menschen mit Sprachfehler schien sie unter dem Zwang zu stehen, sich ständig verbal äußern zu müssen, und der Strom von schneidenden Zischlauten, der durch ihre weit vorstehenden Zähne pfiff, übte offenbar eine hypnotische Wirkung auf andere aus. Auch wenn sie sich noch so sehr anstrengten, spürten diejenigen, die ihr zuhörten, unwillkürlich, wie ihre eigene Oberlippe zu zucken anfing und sich nach oben zog. Wenn sie Miss Wicks dann eine Antwort gaben, zischten und pfiffen sie fast ebenso heftig wie sie. Selbst wenn sie schwieg, gab Miss Wicks ein subtiles Geräusch von sich, das wie ein langgezogenes »Sssss« klang.
Vorsichtig und voller Sorge legte die alte Lady die Karten noch einmal aus. Die Kreuz-Dame. Das war eine Spur besser. Sie deckte mit neuem Mut die nächste Karte auf und schlug in ihrem Buch Meister der Metaphysik in 30 Minuten die Bedeutung nach. Die Karte für den Ort – hier stand es: Haus. Also die Kreuz-Dame in ihrem Haus.
Die nächste Karte symbolisierte laut Buch das Gesetz. Die Kreuz-Dame hatte in ihrem Haus mit dem Gesetz zu tun?
Dann konnte es sich nur um Miss Seeton handeln. Außer Miss Seeton
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