Miss Seetons erster Fall
sein, so was dürfte doch nicht vorkommen, und ob ich dächte, daß sie arm wäre, und so ein Zeug. Na ja, ich hab’ ihr gesagt, ich hätte wirklich keine Ahnung. Und sie hat gesagt: ›Sehen Sie nur, was aus mir geworden ist‹ – na ja, sie sah wirklich erbärmlich aus, das stimmt. Und sie hat gesagt, wenn sie nicht arm wäre – darauf ist sie immer rumgeritten –,also, wenn sie nicht arm wäre, dann hätte sie ihn reingelegt und das würde er schnell genug merken, denn sie hätte gerade an dem Morgen ein neues Testament mit dem Milchmann gemacht. Das ist natürlich Quatsch, denn daß Milchmänner keine Testamente machen, weiß doch jedes Kind. Dann hat sie gesagt: ›Trauen Sie nie einem Rechtsanwalt^ und da hab’ ich ihr gesagt, das täte ich sowieso nicht und ob ich ihr irgendwie helfen könnte. ›Nein, niemand könnte mir helfen‹, hat sie gesagt. Und weg war sie. Ich war ganz aufgeregt. Und am nächsten Tag hab’ ich dann in der Zeitung gelesen, daß sie an demselben Nachmittag von einem Hausdach runtergesprungen ist, gleich nachdem sie von hier weggegangen ist. Ich bin vielleicht erschrocken. Ich hatte mir schon gedacht, daß Tee nicht das richtige für sie gewesen ist.«
»Und?« Aus Angst, ihren Redefluß zu unterbrechen, flüsterte Delphick beinahe.
»Und?« wiederholte sie. »Warten Sie mal. Die einzige, an die ich mich sonst noch erinnere, ist Miss Hant. Ja, jetzt, wo ich daran denke, fällt mir ein, daß es gar nicht so lange her ist. Muß vor ein paar Monaten gewesen sein. Sie ist hier aufgetaucht, mit wilden Augen, ganz starrem Blick, wie diese andere Miss. komisch, daß der Name futsch ist, und dabei liegt er mir auf der Zunge.«
Stirnrunzelnd dachte sie nach.
»Miss Worlingham?« murmelte Delphick.
»Aber natürlich, Worlingham, ich wußte doch, daß ich es wußte, ich konnte mich bloß nicht drauf besinnen. Na ja, wie gesagt, diese Miss Hant kommt eines Tages her. Für die hatte ich nichts übrig. Sie muß nämlich gewußt haben, daß er nicht hier war und tut sehr erstaunt, weil er nicht da ist, aber ich glaube ihr nicht, das ist eine ganz Gerissene. Sie sagt, er hat ihr ein paar Pillen versprochen. Er ist doch kein Doktor, sage ich ihr, aber sie nimmt ein Röhrchen aus der Tasche und sagt, ich soll doch mal schnell in seinem Badezimmer nachgucken, ob da im Schränkchen noch so eins ist, und es ihr holen.«
Delphick schien fast eingeschlafen zu sein. »Was für ein Röhrchen?«
Die Haushälterin nickte lächelnd. »Tja, das ist komisch, daß Sie danach fragen. Es war nämlich nicht so ein gewöhnliches Röhrchen, sondern irgendwie anders. Das heißt, oben schon wie ein Tablettenröhrchen, aber unten, am Boden, da war es breiter, wie ein Medizinfläschchen. Ich habe ihr schleunigst die Meinung gesagt, wie sie auf die Idee kommt, daß ich seine Sachen an der Tür weggebe, ohne Anweisung, das wäre ja noch schöner, und außerdem wäre gar kein solches Fläschchen im Badezimmer, und ich müßte das ja wohl am besten wissen, weil ich ja saubermache. Und er war ganz schön wild, wie ich es ihm erzählt habe. Er hat gesagt, die Frau wäre verrückt und gehörte ins Irrenhaus. Die nächsten paar Tage habe ich richtig Angst gehabt, in die Zeitung zu gucken – wenn sie sich nun auch umgebracht hätte. Aber ich weiß, daß sie jetzt im Krankenhaus ist, und da wird’s ihr ja gut gehen, denke ich, was meinen Sie?«
Delphick stand rasch auf. »Bestimmt. Und nun könnten Sie uns vielleicht, wenn es für Sie nicht zu spät ist, das Haus zeigen? Haben Sie eine Ahnung, wo Mr. Trefold Morton seine Papiere verwahrt?«
»Papiere?« überlegte die Haushälterin. »Nein, kann ich nicht sagen, außer in seinem Büro. Oder vielleicht in dem Safe, den er hinter den Büchern in seinem Arbeitszimmer hat. Versuchen Sie es doch da mal.« Sie ging durch die Diele, machte eine Tür auf und ließ Delphick und Ranger eintreten. Als beide die vom Fußboden bis zur Decke reichende Bücherwand sahen, warfen sie sich einen Blick zu. Der Rundgang mit Fremdenführer machte sich bezahlt. Von der Mitte des Regals nahm die Haushälterin ein paar Bücher herunter, und ein kleiner Wandsafe kam zum Vorschein. »Hier. Ich bin drauf gestoßen, wie ich die Bücher zum Abstauben runtergenommen habe, aber ich hab’ nie verraten, daß ich es weiß, denn es geht mich ja nichts an. Aber weil Sie von der Polizei sind und einen Haussuchungsbefehl und seine Schlüssel haben, ist das wohl in Ordnung, denke ich mir.«
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