Miss Seetons erster Fall
gehen könnte, hab’ ich immer gedacht.«
»Hatten Sie selbst Ärger mit ihm?«
»Ärger, nein, kann ich nicht sagen, abgesehen von ein paar Schwierigkeiten zu Anfang, als ich neu war. Er hat gesagt, das Essen kostet zuviel und ich müßte mit weniger auskommen. Da hab’ ich ihm was erzählt. Eierkuchen ohne Eier, das gibt’s nicht, hab’ ich ihm gesagt, und von mir aus könnte er die Eierschalen haben, aber dann würde ich die Eier essen, denn unter mein Niveau gehe ich nicht. Er hat nie wieder was gesagt. Man muß fest bleiben, oder man wird ausgenutzt. Und dann war das mit dem Lohn. Er wollte was von meinem Lohn zurückbehalten und das in irgendwas reinstecken, für mich. Da habe ich ihm Bescheid gestochen. Sie stecken den Lohn hier in meine Hand, hab’ ich gesagt, und wenn es sonstwo reingesteckt werden soll, dann besorge ich das selber. Ein bißchen zu raffiniert, hab’ ich mir gedacht.«
Das Notizbuch in der Hand, war der Sergeant der Haushälterin unauffällig gefolgt, und Delphick beschloß, die Quelle auszuschöpfen, solange sie sprudelte und die Haushälterin geneigt war, sich in Erinnerungen zu ergehen.
»Sagen Sie«, fragte er, »ist Ihnen irgendwas Befremdendes aufgefallen? Im Verhältnis zu sonst, vielleicht?«
»Verhältnis?« Sie war empört. »Natürlich nicht. So was gibt’s nicht. Verhältnisse – und ich war’ nicht geblieben. Grob kann er von mir aus sein, was soll man schon erwarten, so ist er nun mal, der arme Kerl, aber Verhältnisse hat er nicht, das muß man ihm lassen.«
Delphick besänftigte sie. »Nein, das meinte ich nicht. Ich dachte mehr an Besucher, die aus dem Rahmen fallen. Oder irgendwas Ungewöhnliches, an das Sie sich erinnern.«
Die Haushälterin ließ sich auf einem Stuhl nieder. »Tja, da ist so ein Mann. Er kommt ziemlich oft her, von dem könnte man sagen, daß er aus dem Rahmen fällt, wenigstens seine Anzüge und Sachen, und er hat so eine komische Frisur mit Ponies. Ich habe ihn in der Stadt gesehen, und jemand hat mir gesagt, wie er heißt, aber ich hab’s vergessen, und er soll einen Club leiten oder so was, draußen in Les Marys irgendwo.«
»Und Sie sagen, er kommt ziemlich oft her?«
»Ja, ziemlich oft, kann man wohl sagen. so einmal die Woche, regelmäßig. In letzter Zeit hab’ ich ihn selten selber reingelassen, aber manchmal, wenn ich gehört habe, daß spätnachts die Tür ging, hab’ ich aus dem Fenster geguckt und gesehen, daß er weggegangen ist.«
»Und noch andere?« fragte Delphick wie nebensächlich.
»Aus dem Rahmen fallende, kann man nicht sagen.« Sie überlegte einen Augenblick, dann lachte sie: »Höchstens der junge Mann aus Schottland, aber das ist Jahre her.«
Das Gesicht des Superintendent nahm einen Ausdruck milden Interesses an. »Ja?«
»Na ja, der ist hergekommen, und ich hab’ ihm gesagt, er soll warten, aber wie ich reingegangen bin und seinen Namen gesagt habe, hat er gesagt, er wäre nicht da. Also bin ich wieder rausgegangen und hab’s ihm gesagt, obwohl es natürlich nicht stimmte, aber was sollte ich machen, wo er es mir doch aufgetragen hat. Und der junge Mann war fuchsteufelswild, sagte, er hätte die Reise von Schottland bis hierher gemacht, um sein Tantchen zu beerdigen, und wo das Geld wäre. Ich hab’ ihm gesagt, ich hätte keine Ahnung, und da ist er fort und hat gesagt, er würde ihn verklagen. Komisch, nicht wahr? Ich meine, wie kann man einen Anwalt verklagen, das ist doch Unsinn.«
Delphick soufflierte noch einmal behutsam: »Und sonst noch jemand?«
»Sonst noch? Tja, warten Sie mal. da war diese Miss – nein, der Name ist futsch, trotzdem es alles in der Zeitung gestanden hat, hinterher. Sie war zweimal hier. Das erste Mal hat er mit ihr geredet, und sie haben fürchterlichen Krach gehabt, daß ich es bis in die Küche gehört habe. Sie hat geschrien und gekreischt, und wie sie weg ist, hat sie geheult, und er hat gesagt, ich soll sie nicht wieder reinlassen, wenn sie wiederkommt. Und sie ist wiedergekommen. oh, viel später, es muß über ein Jahr später gewesen sein, an einem Vormittag, und ich habe gesagt, sie soll es in seinem Büro versuchen, aber sie hat gesagt, da wäre sie schon gewesen und da hätte man ihr gesagt, er wäre nicht da. Sie war so durcheinander, daß sie mir leid getan hat, das arme Ding, und ich habe sie in mein Zimmer gesetzt und ihr eine Tasse Tee gebracht. Sie hat immer wieder gesagt, bei der Bank wäre was falsch gemacht worden und ihr Geld könnte doch nicht weg
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