Miss Sophie, Sie können mir vertrauen
bei Lady Lucindas Vortrag vermisst hatte. Die Leidenschaft. Ganz gewiss hatte Lady Lucinda keine Leidenschaft für Musik. Für sie waren die Noten nur das Mittel, um ihre Fähigkeiten zu demonstrieren.
Nachdem Penelope die Sonate beendet und starken Applaus bekommen hatte, schlug sie vor, Miss Marsden möge ein Lied singen.
Einen furchtbaren Augenblick lang wähnte Sophie, sterben zu müssen, weil die Blicke der anderen Anwesenden auf sie gerichtet waren. Zögernd stand sie auf und stellte sich neben das Instrument, ohne die mindeste Ahnung zu haben, was sie singen solle. Plötzlich intonierte Lady Darleston ein Lied, und innerlich zuckte Sophie zusammen. Dieses Lied konnte sie nicht singen. Das war ausgeschlossen. Dann sah sie Captain Hampton sie freundlich anlächelnd und seinen aufmunternden Blick auf sich gerichtet. Unmerklich nickte er ihr zu. Jäh begriff sie, dass sie auf diese Weise bekunden konnte, was sie empfand, ohne sich schämen zu müssen. Schließlich hatte sie das Lied nicht ausgewählt. Wenn Lord Helford begriff, konnte er aus dem Inhalt machen, was ihm beliebte. Und wenn er nicht begriff, war es nur ein Lied, das sie gesungen hatte.
Sie holte tief Luft und sang: “Ich werde meinem Liebsten einen Apfel ohne Gehäuse geben, ich werde meinem Liebsten ein Haus ohne Tür geben, ich werde meinem Liebsten einen Palast geben, in dem er sein kann, und die Tür kann er ohne Schlüssel öffnen.” Das Rätsel, das sie gestellt hatte, hing in der Luft, während Lady Darleston die Überleitung zur zweiten Strophe spielte.
Sophies Kopf war der Apfel ohne Gehäuse. Ihr Verstand war das Haus ohne Tür, und ihr Herz … Oh Gott! Ihr Herz war der Palast, in dem er wohnen konnte und für den er keinen Schlüssel benötigte, weil es ihm gehörte. David bekam einen trockenen Mund, als er begriff, was Miss Marsden ihm anbot – sich selbst, ihren Körper, ihren Verstand und ihre Seele. Und ein wehmütiger Unterton in ihrer Stimme bekundete ihm, dass sie sich nicht die geringste Hoffnung machte, ihr Geschenk könne angenommen werden. Ihrem Wesen getreu war sie in der Gewissheit, dass ihre Gefühle nicht erwidert wurden, das Risiko eingegangen, ihm zu sagen, was sie für ihn empfand. Sie hatte sich dem ganzen Schmerz geöffnet, den sie fühlen würde, wenn sie von ihm zurückgewiesen wurde. Sie hatte genau das getan, vor dem ihm am meisten gegraut hatte.
Ungläubig starrte er sie an. Als das Lied verklang, wusste er nur eins – Miss Sophie Marsden gehörte ihm! Lady Lucinda konnte er unmöglich einen Heiratsantrag machen. Und wenn das zu einem Skandal führte, so war es nicht zu ändern. Er selbst hätte sich vielleicht auf dem Altar der Pflichterfüllung opfern können, aber verdammt wollte er sein, wenn er Sophie opferte.
Verlegen nahm sie den Beifall entgegen, schaute bang den Viscount an und lief rot an, als sie seinen brennenden Blick bemerkte. Er schien sie mit seinen Blicken zu verschlingen und jeden Anwesenden herauszufordern, sich gegen ihn zu stellen. Er war der Einzige, der nicht applaudierte, doch das, was Sophie in seiner Miene sah, veranlasste sie, schwer zu schlucken. Sie hatte ihm offen ihre Liebe erklärt, und er bekundete ihr, das habe er begriffen. Sie wusste nicht, was er mit dieser Erkenntnis anfangen würde. Sie hatte sich ihm bedingungslos angeboten, koste es, was es wolle.
“Das Lied war wundervoll”, rief Kate Asterfield begeistert aus. “Wo haben Sie es gelernt, Miss Marsden?”
“Von einem unserer Hausmädchen”, antwortete Sophie.
“Das Lied eines Hausmädchens”, äußerte Lady Lucinda so laut zu ihrer Mutter, dass jeder sie hören musste. “Ich wette, die Herkunft des Liedes erklärt die darin zum Ausdruck gebrachten vulgären Absichten.”
“Ganz recht, meine Liebe”, stimmte Lady Stanford hitzig zu.
“Vulgär?” wiederholte Lord Darleston. “Betrachten Sie die Liebe als etwas Vulgäres, Lady Lucinda?”
Stolz straffte sie sich. “Ja, ich glaube, Menschen unseres Standes sollten sich nicht von starken Emotionen leiten lassen. Sie sollten darüber stehen. Solche Dinge sind höchst ungehörig, ob es um Temperamentsausbrüche geht, oder übertriebenen Kummer, oder … Liebe.”
Lord Darleston nickte. “Ich verstehe. So, so, so. Ich wusste nicht, dass ich ein so vulgärer Bursche bin. Arme Penny! Jetzt wird sie nichts mehr von mir wissen wollen. Es sei denn … es sei denn, auch sie kommt sich vulgär vor. Vielleicht gibt es für ihren armen, vulgären Gatten noch
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