Miss Winbolt ist schockiert
könnte es anders sein? Sie ist ebenso klug wie liebenswürdig. Diese Kombination findet man nicht oft.“
„Haben Sie nicht darunter gelitten, als Ihr Bruder heiratete?“
„Vermutlich haben Sie auf das Geschwätz von Mrs. Gosworth gehört. Ich liebe Rosa von ganzem Herzen. Außerdem ist sie ein Segen für Philip.“
William beschloss, nachzuhaken. „Aber Sie wirkten unglücklich, als wir uns trafen.“
Erschrocken sah sie ihn an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Jedes Mal entdecke ich eine neue Facette an Ihnen. Und je mehr ich über unsere erste Begegnung nachdenke …“
„Bitte, Sir William“, mahnte sie ihn verstört. „Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, diese erbärmliche Episode hinter uns zu lassen. Ich kann nicht ständig zu etwas Erklärungen abgeben, das ich selbst nicht begreife …“
„Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen, sondern Sie beruhigen. Ich habe den Gedanken längst verworfen, dass Sie so wie einige Damen sind, denen ich in London begegnet bin, und die danach trachten, ihrem Leben durch heimliche Affären einen Reiz zu verleihen. Je mehr ich über unser erstes Zusammentreffen nachsinne, desto überzeugter bin ich, dass Ihr Verhalten an diesem Tag tatsächlich völlig untypisch für Sie war. Natürlich hat die Flucht vor dem Stier Sie erschüttert. Aber ich vermute noch etwas anderes dahinter. Sie haben nach Bestätigung und auch nach Trost gesucht.“
„Warum um alles in der Welt sollte ich Bestätigung brauchen?“
„Das hat mich ebenfalls gewundert. Sie scheinen nicht unter einer unglücklichen Liebesaffäre zu leiden …“
„Oh, davon habe ich mich vor langer Zeit erholt. Außerdem hatte ich nie …“ Sie brach abrupt ab.
„Was haben Sie nie …?“
„Es spielt keine Rolle.“ Sie holte tief Luft und erklärte: „Sie baten mich, Ihnen zu vertrauen. Also tue ich es. Ich liebe meinen Bruder und Rosa von Herzen, aber an jenem Tag überlegte ich, wie ich ihnen beibringen könnte, dass ich mein eigenes Leben führen will.“
William legte die Stirn in Falten. „Sind Sie denn nicht frei?“
„Natürlich bin ich das. Philip lässt mich tun und machen, was ich will. Allerdings werde ich in Shearings nicht mehr so gebraucht, wie es einmal war. Rosa hat alles hervorragend im Griff. Und ich habe zu viel Zeit für mich allein. Deshalb will ich einen eigenen Hausstand gründen und gestalten …“ Bevor William etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: „Ich weiß, dass die meisten Frauen dieses Ziel durch eine Eheschließung erreichen. Ist es das, was Sie gerade sagen wollten?“
„Mehr oder weniger“, räumte William ein. „Haben Sie ihnen denn von Ihren Gefühlen erzählt?“
Emily seufzte. „Als ich es Rosa schilderte, reagierte sie erschrocken und tief verletzt. Ich habe gar nicht erst versucht, es Philip zu erklären, obwohl ich annehme, dass Rosa es ihm gegenüber erwähnt hat. Und dann hat sie angefangen, einen Ehemann für mich zu suchen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Männer sie mir seitdem vorgestellt hat, in allen Größen und allen Altersstufen.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Sie sind ihr neuester Kandidat.“
William lachte laut auf. „Sie sind erfrischend ehrlich! Kann ich denn mit den anderen mithalten?“
Emily lächelte. „Nun, Sie sind unter sechzig, können noch auf beiden Beinen laufen, und wenn ich es richtig beurteile, ist Ihr Haar echt …“
William schrie lachend: „Aufhören, ich habe genug gehört! So viele Komplimente sind nicht gut für mich.“
„Seien Sie unbesorgt. Ich beabsichtige, meine eigenen Pläne zu verwirklichen, sobald Rosa und Philip ihre Versuche aufgeben.“
„Und welche Pläne sind das?“
„Ich möchte mich in einem geeigneten Haus nicht weit von Shearings niederlassen. Dann würde ich meinen eigenen Haushalt führen und den schönsten Garten des ganzen Landstrichs anlegen.“
„Das ist eine faszinierende Idee, aber alles andere als üblich. Ich kann verstehen, dass ihre Schwägerin sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden kann. Aber bedeutet das, dass Sie keine Zeit haben werden, mir Gestaltungsvorschläge für Charlwood zu unterbreiten?“
„Ich fürchte, es wird Jahre dauern, bis ich meinen Bruder und seine Frau überzeugt habe, dass ich allein glücklicher wäre“, gestand sie seufzend. „Ich will sie nicht verletzen. Und wenn wir jetzt nicht schnell zu ihnen zurückkehren, denken sie vermutlich, dass uns etwas zugestoßen ist.“
„Dann werden wir uns sputen.“
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