Miss Wyoming
Susan hatte ihren Freunden gegenüber einmal geäußert, berühmt zu sein sei für sie so, als hätte man ihr eine Bob-Mackie-Abend-robe auf den Leib geklebt und einen Emmy in ihre rechte Hand implantiert. Ohne Schminke jedoch schien sie nichts von einem Star an sich zu haben. Diese diffuse Identität konnte sich noch als ein gewisser Segen in ihrem neuen Leben erweisen, denn sie würde es ihr erlauben, sich frei zu bewegen. Als Erstes suchte Susan die Absturzstelle auf, an der Kräne gerade die letzten Trümmer der Flugzeugsrumpfs auf Tieflader hievten. Polizisten und Nationalgardisten, die eine Art Schachbrettmuster bildeten, scheuchten Schaulustige fort. Ohne die überall verstreuten Leichen und aufgeplatzten Gepäckstücke ähnelten die Flugzeugtrümmer öffentlichen Skulpturen auf den Plätzen zu Füßen der Bankenhochhäuser in Manhattan.
Susan aß einen Schoko-Energieriegel und spürte die warme Spätsommersonne auf ihren Wagenknochen. Zu ihrer Rechten sah sie etwas knallbunt leuchten. Sie trat näher heran und entdeckte improvisierte Gedenkstätten aus Blumen, Bändern, Flaggen, Fotos und Teddybären, die von Verwandten und anderen Trauernden dort abgelegt worden waren. All diese armen Seelen, dacht Susan, sie sind tot, und ich stehe hier und strotze vor Energie, als wartete ich in einem Abendkleid mit Spaghettiträgern hinter einer Bühne darauf, vor einen Haufen Ford-Händler Für Elise zu spielen. In einem durchsichtigen Reißverschlussbeutel sah sie ein Foto von Mr. und Mrs. Ingenieur, den Millers, wie sich zeigte. Daneben lag eine Aufnahme von Kelly, der Stewardess, die Susan erzählt hatte, dass der 802 ihr letzter Flug vor ihrem Urlaub in Cancün war. Jemand hatte ein Plüschkaninchen mit Sonnenbrille und eine Flasche Tia Maria daneben gestellt. Susans Herz machte vor Überraschung einen Satz, als sie ein Arrangement zu ihrem Gedenken sah - die vergrößerte Farbkopie eines alten Zeitschriftenfotos, auf braune Pappe aufgezogen. Auf dem Foto war sie fünfzehn, hatte eine dick gegelte New-Wave-Frisur und sang gerade in der Clackamas Mall in Clackamas County, Oregon, den Devo-Song »Whip It«. Links oben in der Ecke stand ihre Freundin Trish und spielte auf einem Casio-Keyboard. Susan sah sich selbst in die dick geschminkten Augen, die so viel Inbrunst und Naivität ausdrückten, dass sie lächeln musste. Ihr fiel wieder ein, wie sie sich heimlich auf der Toilette des Orange Julius die Wimpern getuscht hatte. Sie erinnerte sich auch an den Riesenkrach, den sie danach mit ihrer Mutter gehabt hatte, weil diese davon ausgegangen war, Susan würde einen Grazse-Medley singen. Susan schmunzelte darüber, dass jemand von allen Susan-Colgate-Bildern der Welt ausgerechnet dieses komische alte Foto ausgesucht und mitten in ein verwüstetes Hirsefeld in Ohio gesteckt hatte, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Unten an das Foto war mit Klebeband ein Brief geheftet. Auf den ersten Blick sah er aus wie die, die sie während der Erfolgsjahre von Meet the Blooms säckeweise erhalten hatte, Briefe, die häufig den Stempel des Staatsgefängnisses in Lompoc oder einer anderen Haftanstalt trugen. Die Briefe begannen oft mit Gedichten, die stets aus tiefstem Herzen kamen, aber fast immer grauenhaft misslungen waren. Dieser Brief lautete:
Susan, ich heiße Randy James Montarelli, und ich wurde an demselben Tag geboren wie du, am 4. September 1970. Du bist für mich immer eine Art Leitbild gewesen. Ich glaube, es gab draußen auf dem Lande viele Leute wie mich, die deinen Lebensweg verfolgten, als wärst du ihre Schwester, vielleicht auch, weil du es geschafft hast, einem Scheißleben zu entfliehen und es zu etwas Besserem zu bringen. Wir haben dich jedenfalls immer bewundert. Aber jetzt bist du im Himmel, und wir sind immer noch hier unten. Ich glaube, ich bin zu alt, um mir eine neue Susan Colgate zu suchen, und deshalb wird das Leben jetzt um einiges schwerer sein. Ich lebe allein (für die Ehe bin ich nicht geschaffen'.), aber ich habe zwei Hunde, Willy und Camper, und einen ganz guten Job. Ich hätte einfach nie geglaubt, dass du als Erste sterben würdest. Das war für mich ganz ausgeschlossen. Ganz schön blöd, all diese Worte mit Leuchtmarker auf ein Stück Papier zu schreiben, wo sie ja doch keiner liest. Ich wohne nicht in Seneca, sondern in Eerie. Das liegt in Pennsylvania. Ich bin letzte Nacht mit dem Auto hergekommen (4^/2 Stunden!), weil ich es mir nie verziehen hätte, es nicht getan zu haben. Tut mir
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