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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Angeles lag vor ihnen. John war an den Straßenrand gefahren, und Ivan fragte ihn, was los sei. John schwieg. Er hatte ganz unverhofft den Blick auf etwas erhascht, das bedeutender war als eine Landschaft. »JohnrO, komm schon, was hast du denn? Du bist ja völlig weggetreten, Mann.«
    »Ivan, sei mal einen Moment still. Schau dir die Stadt an.« 
    »Ja. Und?«
    »Das alles haben Menschen gebaut, Ivan. Menschen.« »Na, so was.«
    John versuchte Ivan zu erklären, dass er bislang immer völlig gedankenlos angenommen hatte, alles, was auf der Welt nicht naturgegeben war, sei einfach da. Doch jetzt begriff er, dass all die Straßen sowie die Abwasserrohre, die sich unter jedem Gebäude krümmten, von Menschen angelegt und in Stand gehalten wurden, ebenso wie all die Kabel, die die Elektrizität vom Mittelpunkt der Erde in die Haartrockner, Fernseher und Röntgengeräte von Los Angeles County leiteten. Und als John das bewusst wurde, kam ihm gleichzeitig die Erkenntnis, dass er mit seinen eigenen Händen etwas Gigantisches schaffen konnte, und zwar ebenso gut wie jeder andere. Ein Gefühl von Macht durchzuckte ihn wie ein Stromschlag. Ivan ahnte, was John meinte. Aber so ganz verstand er es nicht. Rückblickend hatte John diesen Moment immer als den betrachtet, in dem er zu einem »großen Denker« wurde. Aber nun, nachts im Zug, fühlte er sich desillusioniert und gedemütigt, wie jemand, der das Haus besucht, in dem er seine Kindheit verbracht hat, um festzustellen, dass es inzwischen schäbig und keineswegs mehr denkwürdig ist. Irgendwo in Arizona hielt der Zug, und John stieg aus.
     

Kapitel Vierzehn
     
     
    Filmhits produzieren zu müssen war eines der kleineren Probleme in Johns Leben. Ivan kümmerte sich um den alltäglichen Kram wie Etats, Windmaschinen und das Feilschen mit der Gewerkschaft. Johns Aufgabe bestand darin, in einen Raum zu kommen, in dem nichts existierte außer ein paar Geldsäcken, die sich ein bisschen Glamour versprachen, gute Gewinne und die Gelegenheit, hier und da ein Filmhäschen aufzureißen. John veranstaltete für diese Komiker, Hanswurste und Darrens-von-Citicorp einen großen Budenzauber. Er musste ihnen seine Aura ganz, ganz tief in den Leib rammen, sie herumdrehen wie die Klinge eines Entsafters, sie dann wieder herausziehen und zusehen, wie diese Anzugtypen Dollars ejakulierten. »Leute, es geht hier nicht um Geld, sondern um die amerikanische Seele - es gilt, diese Seele zu finden und mitsamt Wurzel herauszureißen. Es gilt, diese Wurzel zu packen und sie tief in das warme, pochende Herz des Regisseurs zu pflanzen. Sie nährt sich von heißem pulsierendem Blut, bis sie erblüht und uns Rosen, Zinnien, Orchideen, Heliotrope und sogar, was weiß ich, Geweihe schenkt. Und dann sitzen wir da und betrachten die Blüten und haben unseren Teil getan. Das ist der einzige Zweck, zu dem wir hier sind. Wir sind Dreck. Wir sind Abschaum. Wir sind Scheiße. Aber wir sind gute Scheiße. Wir sind nichts als der Boden, auf dem der Regisseur eine Vision heranzüchtet. Und darauf sollten wir stolz sein.« Meistens stieg John für diesen Teil der Veranstaltung einfach auf den Konferenztisch. Die Leute wollten selten Einzelheiten wissen. Sie wollten irgendeinen Hokuspokus, und den bekamen sie. Er konnte sich meistens auf seine Intuition verlassen und verarbeitete seine Eingebungen schnell und mit fast überirdischer Gründlichkeit. Er war überzeugt, dass die meisten Menschen wenigstens ein paar gute Ideen pro Tag haben, allerdings nur selten etwas daraus machen. John ließ sich durch nichts bremsen. Zwischen seinen Einfällen und ihrer Umsetzung verstrich keine überflüssige Sekunde. Er war eine Art Einsatzkommando in Sachen Film. Manchmal machte es ihm Angst, wie bereitwillig Menschen jemandem folgten, nur weil er den Anschein vermittelte, er habe die Übersicht und ein klares Ziel vor Augen.
    Bei Air PI war ein ziemlich billig produzierter Polizeifilm, in dem ein ehemaliger Kriminalkommissar aus dem Mittelwesten sich mit der Tochter des Bürgermeisters zusammentat, einem Society Girl, das das Lager gewechselt hatte (»Schätzchen«, sagte Doris, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatte, »deine Heldin ist ein Society Girl, das das Lager gewechselt hatte! Und was kommt als Nächstes?«), um eine Privatdetektei zu eröffnen. Ihr erster Auftrag bestand darin, die vermisste Frau eines Filmbosses zu suchen, die in zahlreiche Häppchen von Kentucky-Fried-Chicken-Größe zerstückelt auf einer

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