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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Schnee aber im Sommer nicht taut. Im nächsten Winter schneit es wieder, und auch der Schnee taut nicht. Und dann schneit es jahrelang immer ein paar Meter mehr, und nichts davon taut. Nach tausend Jahren - einem Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit - ist die Eisschicht eine Meile dick. Aber bis dahin bist du längst tot. Und wenn du schlau gewesen wärst, wärst du ohnehin gleich im ersten Jahr an den Äquator gezogen.«
    Ivan stand da, lächelte John an und hatte fortan keine Angst mehr vor der Eiszeit. Sie drehten sich um und schauten durch eine kleine rautenförmige Fensterscheibe hinaus auf die zuckenden Rasensprenger im Garten. »Und was ist mit dir?«, fragte Ivan. »Du siehst aus, als wärst du tot oder so. Als musste man ein Spendenkonto für dich einrichten.« Von da an verwandelte sich Johns Körper. Er schoss in die Höhe und bekam Muskeln, aber die Gesundheit stellte sich zu spät in seiner Jugend ein, als dass ihn Mannschaftssportarten noch in ihren Bann ziehen konnten. Er vermochte sich nur für Einzelaktivitäten zu erwärmen, bei denen er den Sieg für sich allein beanspruchen konnte, ohne dass die Befriedigung darüber von einem ganzen Team verwässert wurde. Außerdem hörte er auf fernzusehen, weil er so abergläubisch war, das mit Kranksein gleichzusetzen.
    John und Ivan drehten gemeinsam - nur so zum Spaß - Super-8-Filme, von denen der erste den Titel Doris' Saturday Night trug. Er schilderte ihre Degeneration von der halbherzigen Insektizid-Erbin aus Delaware, die elegant ein hart gekochtes Ei bröckchenweise auf entrindeten Toast-Dreiecken zerdrückt und die Aufmerksamkeit genießt, die ihr geschenkt wird, zu einer verhärmten mal vivante, die Fetzen von Seemannsliedern in die Rohre unter der Küchenspüle gurgelt. Ihr zweiter Film fiel prosaischer aus. Angus sagte, sie müssten mehr über Dramaturgie und Schnitt lernen, und deshalb folgten John und Ivan ihm an einem typischen Arbeitstag auf Schritt und Tritt mit der Kamera - sie filmten seine Besprechungen, sein Mittagessen, seine Fahrten durch die Stadt und ein Screening am Abend. All das wurde zusammengeschnitten und mit albernen Untertiteln unter dem Titel Film Executive Secretly Wearing a Diaper Because It Makes Hirn Feel Naughty (Der Filmboss, der heimlich eine Windel trägt, weil sie ihm so ein dekadentes Gefühl gibt) bei der Party zu Angus' fünfzigstem Geburtstag gezeigt. Das war ihr Einstieg in die Gemeinschaft der Filmfreaks.
    John war ein erstaunlich selbstbewusster junger Mann und ein Macher, kein Denker. Doris hatte ihn stets darin bestärkt, diesen Elan zu kultivieren. Sie wollte nicht, dass John auch nur ansatzweise zu einem Lodge wurde, und weckte deshalb bei ihm eine Begeisterung für alles, was den Menschen aus Delaware gegen den Strich ging. Sie förderte seine Unternehmungslust, seine Kreativität und eine starke Abneigung gegen die Vergangenheit. Außerdem hatte sie Angus überredet, Ivan ganz aus dem Privatschulsystem herauszunehmen, so dass er ebenso wie John die High-School vor Ort besuchen konnte. Keiner von beiden war ein besonders guter Schüler, aber trotzdem fühlten sich beide dort recht wohl. Danach mogelten die beiden jungen Männer sich mit Müh und Not durch die UCLA, wobei sie den Großteil ihrer Zeit damit verbrachten, Kurzfilme zu drehen und Mädchen aufzureißen. John versuchte sich außerdem als Autohändler. Den orangefarbenen 260-Z bezahlte er von dem Geld, das er mit dem erfolgreichen Verticken wertvollerer Wagen verdient hatte, während Ivan einen mintgrünen Plymouth Scamp fuhr, den er einem von Angus' Gärtnern abgekauft hatte.
    Als sie beide vierundzwanzig waren, gründeten sie mit Hilfe von Ivans Beziehungen und einem kleinen Kredit von Angus Equator Pictures. Schon bald hatten sie mit Bei Air PI einen Hit, der ihnen beiden Unabhängigkeit durch Geld und Macht sowie gegenseitige Abhängigkeit einbrachte. John war der Güterzug, der unaufhaltsam vorwärtspreschte. Ivan sorgte dafür, dass das Gemüse, das der Catering-Service lieferte, frisch war, und steckte dem vergrätzten Anrainer eines Drehorts, der sich weigerte, seinen Rasenmäher abzustellen, 500 Dollar zu. Eines Frühlingstags irgendwann zwischen Bei Air PI und Bei Air PI 2 standen John und Ivan an einer ARCO-Tankstelle und betankten Johns zerschossenen Bentley 260-Z, den Wagen, den er am häufigsten benutzte, obwohl er inzwischen die branchenübliche Kollektion protziger Trash-Schlitten sein eigen nannte. John erklärte:

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