Miss Wyoming
Sonntagabend gezeigt werden. Änderungen der Essenszeiten wurden angesagt. Das Mittagessen an jenem Tag würden sie mit Mitgliedern des örtlichen Rotarier-Clubs einnehmen. »Vielleicht können wir uns ja jemanden zum Vögeln angeln«, lachte Susan. »Susan!« Marilyn versetzte ihrer Tochter eine Ohrfeige. Susan lächelte, denn wie bei den meisten Ohrfeigen ist es der Geschlagene, der das Match gewinnt.
»Sehr stilvoll, Mom. Echt todschick! Ich glaub, es gibt niemanden im ganzen Saal, der das nicht mitgekriegt hat. Da geht er hin, mein Titel der Miss Congeniality.«
»Nur Verliererinnen werden Miss Congeniality, Susan. Du solltest deine Ziele höher stecken.«
Seit dem Umzug nach Cheyenne vor ein paar Monaten, gleich nach ihrer Schönheitsoperation, war Susan richtig rebellisch geworden. Sie hatte in dieser erstaunlich ebenen und staubigen Stadt in Wyoming keine Freunde, und ihre Schulzeit war endlich vorbei, nachdem sie an einer Schule in McMinnville, deren Lehrer am Ende ihrer Kräfte und selig waren, Marilyn los zu sein, eine Durchschnitt von 3 minus bekommen hatte. Susan verbrachte ihre Tage wie die Lieblingsfrau in einem Harem: Sie lackierte sich die Zehennägel, durchsuchte den Kühlschrank nach Essbarem und verschlang alles, was sie in der Bücherei ein Stück weiter die Straße runter in die Finger bekam, erpicht, ihren Horizont zu erweitern und etwas über Wege aus der Hölle der Schönheitswettbewerbe in Erfahrung zu bringen: Contergan, die Religion der Shaker, Hexenprozesse, das Yukon Territory und Ingrid Bergman. Auf der Fahrt von Denver nach Cheyenne stellte Susan im Kopf ein paar Berechnungen an. Sie machte die Entdeckung, dass, wenn sie alle Gewinne der letzten zehn Jahre zusammenzählte, kaum Geld, wenn überhaupt, in die Verbesserung der Lebensqualität der Familie Colgate investiert worden war. Der ganze Schotter war, wie sie annahm, gleich wieder in die Kleider, Operationen, Kosmetikbehandlungen, Stimmbildungs- und Gesangsstunden geflossen. Bis zu dieser Rechenübung auf der Fahrt hinunter nach Denver hatte Susan sich für diejenige gehalten, die die Brötchen verdiente, das unerschrockene kleine Ding, das seiner Familie die gefürchteten Sozialarbeiter vom Hals hielt und sie vor dem demütigenden Schicksal bewahrte, Burger-Werbung für Wendy's machen zu müssen. Jetzt begriff sie, dass sie, indem sie weiter an dem Misswahlen-Zirkus teilnahm, nur Öl ins Feuer ihrer eigenen Hölle goss.
Die Wahl zur Miss USA Teen war ein landesweiter Wettbewerb, dem Marilyn dennoch nicht die gleiche Bedeutung zugestand wie der Wahl zur Miss America, zur Miss Teen America - oder gar zur Mrs. America. Die Siegerin der Miss-USA-Teen-Ausscheidung würde einen Toyota Tercel mit Steilheck erhalten, einen Abendmantel aus Luchsimitat, 2000 Dollar als Stipendium fürs College und 3500 Dollar in bar sowie einen Vertrag mit einem Hersteller für Abendkleider. Susan hatte den Titel der Miss Wyoming problemlos für sich entschieden, und Marilyn hatte sich aufgeführt wie eine Krähe, die ein fremdes Nest plündert, während Susan sich durch diesen drittklassigen, dilettantisch organisierten Schönheitswettbewerb flirtete. Alles, was hier geboten wurde, waren vier Autolautsprecher in einem gemieteten Saal des Gemeindezentrums (die Geräusche eines nebenan stattfindenden Basketballspiels begleiteten die Veranstaltung wie ein aus dem Takt geratenes Metronom) und eine Horde aufgebrezelter Landpomeranzen, die keine Ahnung hatten, wie man sich auf dem Laufsteg bewegt, sich schminkt, Accessoires auswählt, sich auf einer Bühne präsentiert oder auf Fragen die richtigen Antworten gibt. Die Frage, die Susan gestellt wurde, lautete: »Wenn du eine Sache an Amerika verändern dürftest, welche wäre das?« Marilyn wusste, dass es am einfachsten und nahe liegendsten wäre, über Frieden und Eintracht zu reden, doch Susan erwiderte mit einer Inbrunst, die Marilyn verdächtig erschien: »Wissen Sie, was ich verändern würde?« Pause. »Ich wünsche mir, dass wir alle unsere ewigen Streitereien beilegen würden. Ich würde die Menschen dazu bringen, einmal in Ruhe darüber zu reden, was es bedeutet, in diesem Land zu leben. Wir sollten uns an den größten Tisch der Welt setzen und uns bemühen, einen gemeinsamen Nenner zu finden -Dinge zu finden, die uns nicht trennen, sondern verbinden.« Stürmischer Applaus. Titel gewonnen.
Marilyn fand, dass Susan in letzter Zeit ziemlich schwierig war - mal vorlaut, dann wieder schweigsam, mal
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