Miss Wyoming
abgesäbelt worden. Seine Augen waren klar und weit aufgerissen wie die eines Kindes. Beth sagte zu ihm: »Tut mir leid wegen Jeanie und diesem Video. Sie ist ein sehr ungezogenes Kind. Ich weiß einfach nicht, was ich mit ihr machen soll.«
»Ist nicht so schlimm«, sagte John.
Beth zog zwei Becher schwachen Kaffee aus einem grummelnden Automaten. »Hier«, sagte sie, »nehmen Sie einen.«
»Oh - nein danke.«
»Na, los.«
John hielt seinen Kaffee mit der gleichen Unsicherheit fest, die er verspürt hatte, als er das erste Mal ein Baby auf dem Arm gehabt hatte, Ivans und Nyllas Tochter MacKenzie. Ein Treibstofftransporter fuhr in einer Luftspiegelung aus Oktan vorbei. Beth sagte: »Und Ihre Freunde haben wirklich einen eigenen Privatjet?« John nickte.
»Jeanie hätte das nie getan, wenn sie nicht von diesem Jet erfahren hätte.«
»Es macht nichts. Wirklich nicht.«
Beths Tochter Jeanie hatte das Video, das Johns nackten Kletterakt aus dem Graben und die darauf folgende Stunde dokumentierte, an einen Lokalsender verkauft. Es würde am nächsten Abend als Aufmacher eines landesweit ausgestrahlten Boulevardmagazins gesendet werden.
»Was mich daran so ärgert«, sagte Beth, »ist, dass sie von dem Geld das Auto ihres Freundes bezahlen wird, anstatt sich selber eins zu kaufen. Verdammt, das muss sie doch nun wirklich nicht tun. Royce hat schon einen guten Job.«
»Die Jugend.«
»Sie sagen es.«
Ein schrilles Geräusch scholl ihnen aus der schwarzen Luft entgegen, und John ordnete es, den Blick starr auf den Boden gerichtet, ebenso schnell zu, wie ein Hund das Zündschema der Zylinder im Automotor seines Herrchens erkennt. Es war Ivan mit der G3. John hörte, wie sie landete und dann ausrollte. Er hörte, wie sich die schweren Metalltüren öffneten, Schritte und Stimmen erklangen: Ivan, Nylla, Doris und Melody. »John-O?«
John stand auf und versuchte, den Kopf zu heben, aber seine Augen waren zu schwer. »John-O?« Ivan hockte sich hin und schaute zu John hoch. »Wir sind hier, John-O.« Aber John konnte weder sprechen noch den Blick heben. Der Kaffee fiel ihm aus der Hand, und der billige Plastikbecher schlug scheppernd auf dem Boden auf. Nylla, Doris und Melody küssten ihn auf die Wange, und John konnte ihre Parfüms riechen, so liebenswert und anständig, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
Ivan schaute hinüber zu Beth, die eine Einkaufstüte aus Papier mit Johns gereinigten Sachen in der Hand hielt. »Sind Sie ...?«
»Ja, ich bin Beth.«
Ivan reichte John an Melody und Nylla weiter. »Danke für Ihre ...«
»Nichts zu danken. Aber Ihrem Freund hier geht es gar nicht gut.«
Ivan übergab Beth einen Umschlag, aus dem diese ein Bündel Hunderter zog. »Jeremy aus meinem Büro hat Ihre Adresse und Ihre Telefonnummern aufgeschrieben?«
»Hat er.«
Es blieb nichts mehr zu tun, als hinaus auf die Startbahn zu gehen, in die Maschine zu steigen und Richtung Westen zu starten. Beth verabschiedete sich und umarmte John, dessen Arme in der Luft schlenkerten, als seien sie aus Stroh. Die beiden jüngeren Frauen nahmen John in ihre Mitte und eskortierten ihn die Rampe hoch, und Ivan folgte ihnen, ein kariertes Sakko über dem linken Arm. Bald waren sie oben im warmen Nachthimmel, doch John hatte immer noch keinen Blickkontakt zu seinen alten Freunden aufgenommen. »Johnny«, sagte Melody, »kannst du mich hören?« John nickte.
»Du bist doch nicht auf Drogen, John, oder?«, fragte Doris. John schüttelte den Kopf.
Melody sagte: »Möchtest du was trinken? Ivan, wo ist der Whisky? Gieß ihm einen ein.« Sie hielt ein Kristallglas an Johns Lippen, aber bei dem Geschmack krampfte sich alles in ihm zusammen. Er fühlte sich, als würde seine Brust von zehn starken Männern zerquetscht.
»John«, sagte Nylla und hockte sich neben ihn, »atmen. Tief durchatmen.«
»Was ist denn los?«, fragte Ivan.
»John«, fuhr Nylla fort, »bitte hör mir zu. Du hast eine Panikattacke. Du bist in Panik, weil du jetzt in Sicherheit bist. Dein Körper hat die ganze Zeit darauf gewartet, dass er sich sicher genug fühlt, um sich gehen zu lassen. Und du bist jetzt in Sicherheit. Du bist bei deinen Freunden. Atme.« Johns Magen fühlte sich an, als hätte er einen unerwarteten Tritt erhalten. Melody setzte sich auf den Boden und schlang von hinten die Arme um ihn, während er sich vor- und zurückwiegte. »Johnny? Wo bist du gewesen? Johnny?« John schwieg. Er hatte sich gewünscht, dass diese Felsen und
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