Missbraucht
musste. Sie machte es gerne, auch wenn es sie manches Mal ärgerte. Sie konnte viel von ihm lernen.
Sandra saß seit zwei Jahren mit ihm im Büro. Durch sie hatte die Natur ein klein wenig Einzug gehalten in das drei mal fünf Meter große Zimmer. Sie hatte neben zwei Topfblumen, die auf ihrem Schreibtisch standen sogar eine Yucca Palme mitgebracht. Der Kommissar legte den Blumen gegenüber ein respektloses Verhalten an den Tag, aber wenn die Polizeimeisterin, aus welchen Gründen auch immer, nicht da war und er sich absolut unbeobachtet fühlte, galt seine erste Sorge immer der Pflege ihrer Pflanzen. Sandra Götze war achtundzwanzig Jahre alt. Seit vier Jahren war sie bei der Kripo und seit zwei Jahren bildete sie mit Kommissar Mees ein Team. Sie verfügte über die gleiche gute Auffassungsgabe wie der Herr Kommissar und entwickelte einen enormen Ehrgeiz. Sie arbeitete methodisch ihre Aufgaben ab und hatte einen herrlich trockenen Humor. Auch wenn Richard ab und an gerne mal den Macho gab und den Chef raus hängen ließ, hatte sie sich eine gehörige Portion Respekt bei ihm erarbeitet. Sandra war ein recht bodenständiges "Mädchen", das darüber hinaus mit seiner kurzen, frechen Haarfrisur, dem offenen Lachen, welches ihre schneeweißen Zähne zum Vorschein brachte, noch nett anzuschauen war. Das war sehr wichtig für Richard. Wenn sie sich, wie es junge Frauen gerne mal tun, "aufgebrezelt" hatte, war sie ein richtig scharfes Stück Frau. Vielleicht war der Hintern ein klein bisschen zu rund im Verhältnis zur Oberweite, aber das übertünchte sie gekonnt. Sie liebte Musik, was sie mit Richard verband und war in Sachen Fußball die größte Ignorantin, die er je erlebt hatte. Außerdem war sie bisexuell. Beziehungstechnisch musste Richard sie alle vier bis fünf Monate einmal trösten, wenn gerade mal wieder eine private "Umorientierung" angesagt war. Das letzte Mal hatte er ein ganzes Wochenende mit Sandra in ihrer kleinen, aber schmucken Dreizimmer Wohnung in Horchheim verbracht, um ihr über die Trennung von einem Reporter einer überregionalen, in Koblenz ansässigen Zeitung hinweg zu helfen, der sie während ihrer gesamten Liaison schamlos ausgenutzt und betrogen hatte. So schlimm war es noch nie und der Kommissar hatte sich ernsthaft Sorgen darüber gemacht, ob seine Kollegin neben ihrer Liebe, nicht auch ihren Lebensmut verloren hatte. Zwei volle Tage nur Fluchen, Klagen und Schluchzen. Nie hatte Richard geglaubt, dass ein Mensch so viel weinen konnte, doch am frühen Sonntagabend änderte sich ihre Stimmung langsam und ihre Wut und Enttäuschung verwandelte sich in Trotz und Aufbruchstimmung. Am selben Abend noch schmiedeten die beiden einen Plan, wie sie diesem Journalistenfuzzi wehtun konnten. Dabei tranken sie vier Flaschen Rotwein und dementsprechend perfide arbeiteten sie Sandras Rache aus. Vierzehn Tage später stand der Reporter nicht nur ohne Führerschein, sondern auch ohne Job da. Bei einer Routinekontrolle war er abends gegen elf Uhr einer Zivilstreife aufgefallen, als er mit seinem Auto angeblich in Schlangenlinien, von einem Essen mit einem Freund, nach Hause fuhr. Der unausweichliche Alkoholtest ergab 1,72 Promille, worauf ihm die Zeitung, aufgrund eines anonymen Hinweises hinsichtlich dieses Vorfalls, gekündigt hatte. Als ihr "Opfer" daraufhin anfangen wollte, in eigener Sache investigativ zu recherchieren, machte ihm Richard in einem Vier Augen Gespräch unmissverständlich klar, dass der Besitz und der Handel mit Kokain in den meisten Fällen mit einer Freiheitsstrafe geahndet wird. Der Zeitungsmann verstand den Kern der Aussage, ohne dass Richard ihm weitere Details solch einer Vorgehensweise erläutern musste. Von diesem, jegliche Missverständnisse ausräumenden Treffen, das an einem sonnigen Nachmittag im Februar, an der Spitze des Deutschen Ecks stattfand, war der jungen Polizeibeamtin allerdings nichts bekannt. Seine Kollegin mit in diese Angelegenheit zu ziehen, widerstrebte Richard, denn ihm war bewusst, auf welch dünnem Eis er sich bewegte. Trotzdem schaffte er es, diesem Journalisten auf subtile und eindringliche Art klar zu machen, dass eine Beschwerde oder gar eine Anzeige gegen ihn, erstens recht erfolglos verlaufen würde und zweitens dem Beschwerdeführer mehr Ärger einbringen würde, als dieser sich in seiner verständlichen Wut und seinem Ärger ausmalen könnte. Ein Blick des Journalisten in Richards Augen genügte, um zu erkennen, dass der Kommissar nicht bluffte.
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