Missbraucht
wie es Ilia sagte, bestand nicht der geringste Zweifel, dass er recht hatte.
"Das Auto, das muss doch auch noch weg", endlich hatte Uwe einmal einen produktiven Einwand.
Über das Auto hatten sie gar nicht konkret geredet. Nicoletta hatte es nur kurz am Telefon erwähnt. Ob Ilia es auch im See versenken wollte?
"Das Auto wirst du nachher in die Stadt fahren und abgeben. Ich werde ein paar Kollegen anrufen und alles in die Wege leiten, das wird ohne Probleme gehen." Ilia hatte Kontakte. Ein Auto zu entsorgen war ein leichtes, eigentlich überhaupt kein Risiko für Profis. Aber dieser große BMW sollte ihm noch etwas Geld einbringen, dachte Ilia. Außerdem wäre Uwe dann mal eine Weile weg, womit seine Gedanken wieder bei Nicoletta hängen blieben. Ilia lächelte.
Er arbeitete jetzt fünf Monate hier. Vorher war er einem Job in der Gemeinde nachgegangen, der vom Arbeitsamt gefördert wurde und den er sehr zur Zufriedenheit der Gemeindeverwaltung ausfüllte. Das hatte sich herumgesprochen, und als die jetzige Stelle vakant wurde, schien Ilia den Verantwortlichen als beste und natürlich auch als billigste Lösung. Sein Job ähnelte dem eines Hausmeisters. Er hatte zusätzlich den ganzen See "unter" sich und das angrenzende Gelände. Ilia Popescu wurde nicht von den Pächtern des Lokals bezahlt, sondern sein neuer Arbeitgeber war der Verkehrsverein Achern, und zwar ganz offiziell. Na ja, außer dem Umstand, dass er seit über zwanzig Jahren einen Haufen exzellent gefälschter Papiere hatte und hier nicht Ilia, sondern Nicu hieß. Die Bezahlung war nicht der Rede wert, dafür fühlte er sich sicher und für sein Auskommen hatte er schon vor etlichen Jahren gesorgt. Nebenbei machte er aufgrund alter Connections "vielfältige" Geschäfte. Aus diesem Grund gab er gerne, gegenüber alten, vertrauten Bekannten und Weggefährten zusätzlich noch die Berufsbezeichnung "Geschäftsmann" an. Allerdings ohne Steuerkarte, wie so viele der osteuropäischen Zuwanderer nach Öffnung der Grenzen. Er lebte ansonsten unauffällig in den zwei kleinen Zimmern des Holzhauses, das neben dem Wirtschaftsgebäude stand. Es war eines der Sorte, die jeder große Baumarkt im Angebot führte. Ilia war zufrieden damit, er brauchte keine Nachbarschaftskontakte zu pflegen und hatte nach seiner Arbeit Ruhe. Ex-Geheimdienstmitarbeiter legen darauf großen Wert. Die Betreiber des Lokals wohnten in der Stadt und kamen morgens um sieben und fuhren in der Regel abends gegen elf wieder nach Hause. Diese Abgeschiedenheit kam Ilia sehr zugegen.
*
23. 6. 1994
"Wir fahren noch mal aufs Revier", sagte Richie, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte und die zweite Flasche Bier öffnete.
"Was? Jetzt hab ich gerade Hunger", Sandra Götze schien ungehalten.
"Leck Salz, dann bekommst du auch Durst."
"Blödmann!"
Sandra lehnte sich an den Kotflügel des Wagens und genoss die Sonne: "Musst du denn jetzt Bier trinken?", fragte sie den Kollegen mit vorwurfsvollem Ton.
"Das wird doch sonst pisswarm im Auto." Wo Richard recht hatte, hatte er recht.
"Komm, lass uns fahren."
"Was soll das bringen?"
"Keine Ahnung, aber der Doktor..", er ließ den Schluss des Satzes offen.
"Was ist mit ihm?"
"Ich weiß es nicht Mädchen, aber der kommt mir so glatt vor, eigentlich schon zu glatt."
Das Bier war gerade noch genießbar. Richards Unwohlsein hatte sich nach dem Verzehr der Wurst und des ersten Biers gelegt, jetzt hätte er wieder trinken können, bis zum Abwinken.
Sie stiegen ein und fuhren zum Revier.
"Erzähl uns vom Verhältnis zwischen Heb und Baumel?", forderte Richard seinen Kollegen auf. Sie hatten wieder Platz genommen und Schmittchen war erneut beauftragt worden, für Kaffee zu sorgen.
"Sie sind Freunde. Sie kennen sich aus alten Zeiten, sind zusammen in die Schule gegangen und haben glaube ich, auch zusammen studiert."
"Weißt du, wo die beiden studiert haben?"
"Ja, an der Uni in Mainz, aber Baumel hat nach dem Tod seines Vaters das Studium abgebrochen und hat hier in Montabaur die elterliche Firma übernommen. Auf Wunsch seiner Mutter heißt es. Heb hat das Studium wohl abgeschlossen, sonst könnte er sich wohl kaum Doktor nennen. Es weiß auch jeder, dass es der Baumel war, der den Heb zum Chef des Heims gemacht hat. Der Doktor ist schon lange Leiter des Jugendheims und Baumel hat sich immer sehr engagiert. Also, das muss man schon sagen. Er hat viel Geld von sich da rein gesteckt. Das war ihm immer ein Anliegen. Früher hatten seine Eltern
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