Missbraucht
regelmäßig joggt oder Tennis spielt. Sein schwarzes, mit ein paar grauen Strähnen durchmischtes Haar, hatte er nach hinten gekämmt und es wirkte durch eine Brille mit Stahlrahmen, die er auf den Kopf geschoben hatte, wie mit einem Haarband gehalten.
Er trug ein weißes, kurzärmeliges Hemd, das den Kontrast zu seinen sonnengebräunten, sehnigen und stark behaarten Armen betont hervor hob, eine dunkelblaue Jeanshose mit Bügelfalte und schwarze Lederschuhe. Für Richard ein absolutes No Go. Durch sein Gesicht und über seine Stirn zogen sich tiefe Furchen, die den Eindruck vermittelten, dass er schon harte Zeiten erlebt hatte.
"Nein, da ist noch etwas. Wie sieht es denn in der Angelegenheit von diesem Baumel aus? Ich bekomme Druck von oben, die machen jetzt mächtig Dampf. Ihr wisst, Politiker."
Der Polizeidirektor musste Ergebnisse vorzeigen, obwohl der Fall erst seit drei Tagen aktuell war. Aber bei Prominenten und wenn es sich dazu noch um aufstrebende Politiker handelte, sah die Sache anders aus. Baumels Verschwinden konnte nicht länger vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Außerdem sprachen die Umstände eine andere Sprache. Alle der in die Sache Baumel involvierten Beamten, hatten inzwischen eine Ahnung, dass dessen Verschwinden mehr als ein Routinefall war. Inzwischen gingen die meisten von einem Verbrechen oder einem Suizid aus, wenngleich zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Beweise dafür vorlagen. Hinter den Kulissen waren längst sämtliche Hebel umgelegt und die gesamte Maschinerie angeworfen worden, um das mysteriöse Verschwinden aufzuklären. Selbst aus der Landeshauptstadt Mainz, aus obersten Politkreisen gingen unverbindliche Nachfragen ein, die aber durchaus als unmissverständliche Aufforderung nach Ergebnissen zu verstehen waren. Jetzt lag es an der Polizei, Fakten zu liefern.
"Genau daran arbeite ich Herr Polizeidirektor, ich bin gerade auf dem Weg nach Montabaur, um mir einen weiteren Überblick zu verschaffen, denn einige Sachen sind noch völlig unklar. Ich wollte eben Frau Götze fragen, ob sie mitkommt." Welch eine Antwort, sie stimmte hundert Prozent, kein bisschen flunkern war dabei.
"Nehmen Sie sie mit, Mees, es kann nichts schaden. Vielleicht kann sie sich noch etwas von Ihnen absehen. Machen Sie sich auf die Socken und informieren Sie mich bei Ihrer Rückkehr sofort."
"Wird gemacht Herr Direktor, wir sind schon unterwegs", in Richard kam Leben. "Sandra, kommst du?"
Sie verließen das Präsidium, Sandra fuhr.
"Zuerst noch bei mir zu Hause vorbei, Anna wartet schon", Richard hatte noch nicht ausgesprochen, da klingelte sein Handy schon wieder. Anna war ungeduldig.
Die Polizeimeisterin hatte Glück und fand eine Parklücke im Schatten der großen Linden, die vor seiner Wohnung standen.
Richard wohnte in der Südstadt, in unmittelbarer Nähe der Sankt Josefs Kirche und des Evangelischen Stifts. Er bewohnte zwei Zimmer, mit kleiner Küche und Bad, in einem frisch renovierten Haus aus der Gründerzeit. Während die meisten seiner Mitbewohner ihre Wohnungen käuflich erworben hatten, lebte er zur Miete. Der Besitzer, der das Objekt als Geldanlage erworben und die Wohnungen, bis auf drei Stück, die er vermietete, nach und nach verkauft hatte, war ein alter Freund von ihm. Inzwischen hatte er es, mit einem im Stadtteil Kesselheim ansässigen Reifenunternehmen zu nicht unerheblichen Wohlstand gebracht hatte. Richard war sofort nach der Trennung von seiner Frau dort eingezogen. Was zuerst als Übergangslösung gedacht war, hatte sich als Glücksfall für ihn entpuppt. Diesem Umstand hatte er es zu verdanken, dass er für Koblenzer Verhältnisse eine geradezu bescheidene Miete zahlte, zumal die Wohnung den Ansprüchen an gehobenes Niveau mehr als gerecht wurde. Die weißen Stuckdecken, der auch nach der aufwendigen Renovierung original erhaltene Holzboden und die hohe Zimmerhöhe, gaben der Wohnung ein besonderes Flair, was man von Richards Einrichtung nur bedingt behaupten konnte. Die fiel eher spartanisch zweckmäßig aus. Seine kleine Küche bestand aus Einzelgeräten und einer Spüle, die aussah, als sei sie aus Zeiten des Kalten Krieges. Ein Glastisch, beladen mit Zeitungen, Briefen und sonstigem Kleinkram und zwei hässlichen, orangenen Stühlen bildeten die Essecke. An der Wand hing ein großer Kalender, auf dem allerdings nichts, bis auf die Dauer der Fußball WM und zwei zurückliegende Arzttermine eingetragen war. Er diente ansonsten nur als Dekoration, wie das
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