Missgeburt
Harmony auf den Prediger eifersüchtig wurde und ihm deshalb etwas angetan hat?«
»Nein! Das halte ich für vollkommen ausgeschlossen!« Zur Unterstreichung des Gesagten drückte sie mit allen zehn Fingern auf den Tisch. »Harmony war völlig egal, mit wem Schwartz Sex hatte. Er war ständig auf der Suche nach neuen männlichen Sexualpartnern, nicht nach einer festen Beziehung. Er ist, wie übrigens auch Schwartz, durch und durch promisk. Anscheinend ist das bei männlichen Homosexuellen sehr häufig der Fall.«
»Das ist jetzt aber etwas stark verallgemeinert, oder nicht?«, warf Samuel ein.
»Also, auf Michael Harmony traf es jedenfalls hundertprozentig zu, Mr. Hamilton. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. In der Öffentlichkeit kann er seine Veranlagung natürlich nicht offen zeigen, aber vor mir konnte er sie nicht verbergen. Ich kann Ihnen versichern, er wollte keine feste Beziehung mit einem anderen Mann, geschweige denn mit einer Frau. Wenn jemand außerhalb seines engsten Freundeskreises von seinen sexuellen Neigungen erfahren würde, dürfte das seinen geschäftlichen Ruin bedeuten.«
Samuel dachte kurz nach. »Gab es in seiner Beziehung mit Schwartz auch mal Ärger?«
»Ich weiß nicht, ob hier Ärger das richtige Wort ist. Als Schwartz’ Kirche von der Polizei geschlossen wurde, versprach sich Harmony keine geschäftlichen Vorteile mehr von ihm, denn er konnte ihm ja keine Mandanten mehr beschaffen. Und da sexuell ohnehin schon längst der Ofen aus war, gab er ihm prompt den Laufpass.«
»Sie sind ja wirklich bestens informiert«, bemerkte Samuel.
»Er hat mir ja auch alles erzählt, Mr. Hamilton. Ich war Michael Harmonys engste Vertraute.«
»Umso dümmer von ihm, Sie kurzerhand auf die Straße zu setzen.«
»Das wird er auch noch bereuen«, zischte sie eisig, und das Blitzen ihrer dunklen Augen verriet Samuel, dass er gerade eine Verbündete gefunden hatte.
»An dem Abend, an dem Schwartz starb, hat er in seiner Wohnung noch eine Party gegeben«, sagte Samuel. »Wissen Sie, ob Michael Harmony eingeladen war?«
Mary Rita La Plaza überlegte kurz. »Das weiß ich nicht. Jedenfalls war damals schon Schluss zwischen den beiden. Ich dagegen habe noch in Mr. Harmonys Kanzlei gearbeitet, als der Zwerg starb. Von einer Party hat er allerdings nie etwas erwähnt. Im Gegenteil, er ließ damals ganz gezielt fallen, dass er an diesem Wochenende in Las Vegas sein würde.«
»War er denn auch wirklich dort?«, fragte Samuel.
»Ich glaube nicht. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er irgendetwas zu verbergen hatte. Was das allerdings gewesen sein könnte, weiß ich leider nicht.«
»Zum Beispiel, dass er auf der Party des Zwergs war?«
»Das wäre eine Möglichkeit«, antwortete die Sekretärin des Anwalts.
»Das ist ein wichtiger Punkt«, murmelte Samuel, mehr zu sich selbst. Er vermutete, dass ihm Mary Rita noch einiges über
Michael Harmony hätte erzählen können, und unter anderen Umständen hätte er sich diese Gelegenheit, mehr über den zwielichtigen Anwalt zu erfahren, sicher nicht entgehen lassen, aber im Moment war er hinter einem Mörder her, weshalb alles andere erst einmal warten musste. Er bedankte sich, und sie verabredeten, weiter in Verbindung zu bleiben.
Als Harmonys ehemalige Sekretärin die Bar verließ, begann Samuel bereits zu überlegen, ob es ein einleuchtendes Motiv gab, weshalb der Anwalt den Prediger aus dem Weg hätte räumen wollen. Als naheliegende Erklärung fiel ihm Eifersucht ein oder die Notwendigkeit, den Zwerg zum Schweigen zu bringen, falls dieser Harmony damit gedroht haben sollte, seine sexuellen Neigungen publik zu machen. Erpressung war immer ein gutes Motiv, aber andererseits konnte sich Samuel nicht vorstellen, dass der Anwalt Octavio gekannt oder gar ein Interesse an seinem Tod gehabt haben könnte. Oder bestand in dem sexuellen Untergrund, in den er hier abgetaucht war, doch eine Verbindung zwischen den beiden? Jedenfalls hatte Samuel jetzt genügend Informationen, um Harmony die Polizei auf den Hals zu hetzen, zumal der Anwalt nicht dazu bereit war, Auskunft darüber zu geben, wo er sich an dem Wochenende, an dem der Zwerg gestorben war, aufgehalten hatte.
Sobald Bernardi Samuels jüngste Erkenntnisse vorlagen, bestellte er den Anwalt zu einem informellen Gespräch ins Präsidium ein. Wie gewohnt erschien Harmony, das blonde Haar zu bombenfestem Halt zurechtgesprayt, in einem metallisch glänzenden blauen Anzug – und in Begleitung eines
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