Missgeburt
antwortete. »Ah, jetzt erinnere ich mich wieder. Von Ihnen waren diese Artikel über die Schließung der Kirche und das vermisste Mädchen, das Sie in Mexiko aufgespürt
haben. Gelesen habe ich also schon von Ihnen, Mr. Hamilton. « Damit stand der Anwalt auf und klatschte fünf Dollar auf den Tresen. »Aber können Sie mir auch nur einen Grund nennen, warum ich über irgendetwas mit Ihnen reden sollte?« Ohne ein weiteres Wort verließ er die Bar.
Samuel sah dem Anwalt hinterher, wie dieser geziert die Tür aufstieß, und reckte den Mittelfinger. Eine derart dreiste Abfuhr hatte er selten erhalten. Von Harmony konnte er keine Auskünfte erwarten; der Anwalt war viel zu clever, um sich selbst zu belasten.
Statt weiter im Paoli’s Trübsal zu blasen, beschloss Samuel, dies lieber in der vertrauten Atmosphäre des Camelot zu tun. Rasch ging er den Hügel zu seiner Stammkneipe hinauf, bestellte sich einen Scotch on the rocks und rief von der Telefonzelle dort Mary Rita La Plaza an. »Ihr Exboss hat mich gerade ziemlich rüde abblitzen lassen. Könnte ich Sie vielleicht dazu überreden, auf einen Drink ins Camelot zu kommen? Sie wohnen doch gleich um die Ecke, soweit ich weiß.«
Zwanzig Minuten später saß ihm Mary Rita in einem typischen Sekretärinnenoutfit gegenüber – modischer Rock und weiße Bluse, und gegen die Abendkühle San Franciscos hatte sie sich eine Strickjacke übergezogen. Ihr braunes Haar, das sie in einem Pagenschnitt trug, und ihre dunklen Augen standen in auffallendem Gegensatz zu ihrem hellen Teint, und ihre Lachfältchen hatten etwas sympathisch Einnehmendes.
Sie machte auf Samuel den Eindruck einer integren Persönlichkeit und sprach in sehr sachlichem Ton, der allerdings ihre Verbitterung nicht überspielen konnte. »Angesichts des Umstands, dass ich über zwölf Jahre für Mr. Harmony gearbeitet habe, war sein Verhalten mir gegenüber nicht gerade fair, zumal er noch ein absoluter Niemand war, als ich als Sekretärin bei ihm anfing. Ich habe ihm geholfen, die Kanzlei aufzubauen, und er hat mir immer wieder versichert, dass ich das nicht bereuen sollte: Er würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass ich finanziell abgesichert
wäre. Aber sobald er mit seinen Schadenersatzklagen sehr erfolgreich wurde, glaubte er plötzlich, mich nicht mehr zu brauchen. Schon wenige Wochen später kam er eines Tages an und eröffnete mir, ich solle mir eine neue Stelle suchen. Und meinen Platz übernahm ein hübsches junges Ding.«
»Und warum wollte er Sie so plötzlich loswerden?«, fragte Samuel.
»Weil ich zu viel wusste.«
»Wie interessant. Dann bin ich bei Ihnen ja genau an der richtigen Adresse.«
»Vielleicht, Mr. Hamilton, vielleicht aber auch nicht. Warten wir erst mal ab.«
Samuel holte seinen Notizblock heraus. »Welcher Art war die Beziehung zwischen Michael Harmony und Dusty Schwartz?«
»Mr. Harmony ist ein verkappter Homosexueller.«
»Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen«, erklärte Samuel, der damit Dominiques Aussagen bestätigt fand.
»Er und Mr. Schwartz hatten ein Verhältnis miteinander. Sie hatten sich in einem dieser Sexclubs kennengelernt. Darüber hinaus hatten sie aber auch geschäftlich miteinander zu tun.«
»In einem Sexclub?«
»Ja, soviel ich gehört habe, wurden dort wüste Orgien gefeiert.«
Samuel machte ein überraschtes Gesicht. »Und wo bitte gibt es in San Francisco solche Clubs?«
Harmonys ehemalige Sekretärin lachte amüsiert. »Fast an jeder Straßenecke.«
»Jetzt nehmen Sie mich aber auf den Arm.«
Sie schmunzelte. »Ich dachte immer, Sie würden sich in San Francisco auskennen, Mr. Hamilton.«
»Anscheinend nicht gut genug. Und in welchem Club war Michael Harmony vor allem zu finden?«
»Am häufigsten ging er in die Clubs in South of Market.«
Samuel machte ein enttäuschtes Gesicht. »Nicht auch in North Beach?«
»Da bin ich nicht sicher. Da müsste ich mich erst erkundigen.«
»Was genau hatten die beiden geschäftlich miteinander zu tun?«
»Mr. Schwartz schanzte Mr. Harmony Mandanten zu und bekam dafür umgekehrt junge Mädchen in die Kirche geschickt. Das hat mein Exchef mit Hilfe diverser Gewerkschaftsführer arrangiert.«
»Hat das nicht zu amourösen Verwerfungen zwischen den beiden geführt?«
»So eng waren sie nun auch wieder nicht. Sie hatten nur ab und zu Sex miteinander. Beide waren ausgesprochene Hedonisten. Alles, was sie interessierte, war ihr eigenes Vergnügen.«
»Könnten Sie sich trotzdem vorstellen, dass
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