Missing in Action
Kilometer vor ihm bot sich schon bald ein grandioses Schauspiel. Ein riesiger, schier endlos langer Wasserfall ergoss sich in die Tiefe. Das Sonnenlicht funkelte auf den unzähligen Tropfen, die endlos hinabstürzten, nur um sich unten in nebliger Gischt zu verlieren.
Mit angehaltenem Atem flog Shakey näher heran und schaltete die Kamera auf Filmmodus. Er zog das Ultraleicht höher, um einen besseren Blick zu haben, und bemerkte dabei, dass der Wasserfall nicht an der oberen Kante begann, sondern dreißig Meter darunter. Mit Wucht schoss er aus einem Loch in der Felswand, das so breit war, dass Shakey mit seinem Ultraleicht hätte hineinfliegen und darin eine Kehre vollführen können.
»Irre«, murmelte er, als er an dem Wasserfall vorbeiraste und sich ihm dann in einer gestreckten Kurve noch einmal näherte. Er machte noch einen Anflug von der anderen Seite, achtete darauf, gutes Filmmaterial zu produzieren, dann drückte er den Steuerknüppel nach vorn und schoss dem grünen Boden entgegen. Erst im letzten Moment zog er das Ultraleicht wieder hoch und glitt nun kaum zwei Meter über den höchsten
Wipfeln her. Grinsend stellte er die Kamera wieder um. Die kleine Vorführung wurde im Shuttle sicherlich gebührend zur Kenntnis genommen werden.
Ohne ein genaues Ziel steuerte er in langsamen S-Kurven über die unbekannte Gegend. John würde so viele Eindrücke wie möglich bekommen wollen. Zu Fuß war die Steilklippe vielleicht zwei oder mehr Tagesmärsche von der Absturzstelle entfernt, und Shakey glaubte nicht, dass sie genug Leute für eine Expedition hatten, aber je besser sie ihre Umgebung kennenlernten, desto höher waren ihre Überlebenschancen.
Das Gelände unter ihm war abwechslungsreicher als der höher gelegene Dschungel. Es gab Hügel und Täler, teilweise richtige Schluchten. Während sie oben noch keinen Wasserlauf gefunden hatten, nicht einmal einen kleinen Bach oder auch nur ein Rinnsal, gab es hier mindestens einen Fluss, der sein Bett in weitläufigen Kurven in die Landschaft gegraben hatte. Sein Wasser rauschte unter Shakey dahin, als er dem Verlauf einige Kilometer folgte.
Es gab zwar Bäume, aber der Bewuchs war keineswegs so dicht wie auf dem Plateau. Bedauernd sah sich der kleine Pilot um. Hätten sie sich ihre Landestelle aussuchen können, wäre diese Umgebung die bessere Wahl gewesen. Frischwasser, offene Stellen, genug Platz für eine kontrollierte, sichere Landung. Mit ein wenig Glück wären sie hier gelandet – aber das Glück war in dieser Mission bislang ja sowieso nicht ihr Partner gewesen.
Eine kleine Unregelmäßigkeit lenkte Shakeys Aufmerksamkeit
auf einen See, aus dem ein Fluss entsprang, der sich mit dem inzwischen breiten Strom unter ihm vereinte. Sanft lenkte er das Ultraleicht in die Richtung. Am Ufer des Sees gab es Gewächse, einige niedrige Bäume, die im Wasser standen. Aber da war noch mehr. Eine regelmäßige Struktur, mit auffälligen rechten Winkeln. Noch konnte er nichts Genaueres erkennen, aber er stellte zur Sicherheit die Frequenz der geschossenen Bilder höher.
Der erste Überflug ließ ein Kribbeln in Shakeys Finger aufsteigen, das ihn unangenehm an die Zeiten erinnerte, als er auf Entzug gewesen war. Aber diesmal war es nur Aufregung. Unter ihm war ein Muster zu sehen, zu perfekt, um natürlich sein zu können. Es sah aus, als hätten dort einst Gebäude gestanden. Gebäude mit Mauern, mit Ecken und Eingängen.
Die Kamera schoss Bild um Bild, als Shakey das Ultraleicht wieder heranbrachte und die Geschwindigkeit so weit wie möglich drosselte. Die Rotoren klappten nach oben, und die Flugmaschine glitt nun beinahe geräuschlos dahin. Shakey beugte sich vor, um einen besseren Blick zu bekommen.
Etwa hundert Meter vom See entfernt, auf einem Hügel auf der anderen Seite des Flusses, waren klar und deutlich die Überreste von Häusern zu sehen. Die Mauern waren bis auf den Erdboden abgetragen, aber ihr früherer Verlauf ließ sich noch klar erkennen. Pflanzen waren zwar zwischen ihnen und über ihnen gewachsen, und Shakey vermutete, dass man die Struktur vom Boden aus nur schwierig entdecken konnte,
aber aus der Luft war das Muster der steinernen Fundamente ganz eindeutig.
An diesem See hatten vernunftbegabte Wesen Unterkünfte errichtet. Die Lage war perfekt; an genau dieser Stelle wäre Shakey gelandet, wenn er eine Wahl gehabt hätte. Der Hügel bot eine gute Aussicht auf die Umgebung, der See lieferte Wasser und wohl auch Nahrung, man war durch einige
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