Mission Ares
Gefühlsarmut bei solchen Anlässen noch normal war. Vielleicht war sie durch die Fixierung auf ihre Belange emotional verkümmert. Innerlich so leer wie das Raumfahrtprogramm, wie manche Leute mutmaßten. Sie war einfach nicht imstande, sich in Karen Priest hineinzuversetzen, die binnen weniger Jahre ihren Mann und ihren Sohn verloren hatte. Vielleicht sollte die NASA eine entsprechende Simulation für mich konzipieren, sagte sie sich bitter.
Die Beisetzungsfeierlichkeiten waren vorbei, und die Leute gingen zu ihren Autos zurück: die meisten Einheimischen fuhren alte Karren, und die Leute vom Raumfahrtprogramm
waren in Mietwagen der Oberklasse vorgefahren.
York wußte, daß Karen die Leute zum Bleiben aufforderte, doch ihre Befindlichkeit stand einem weiteren Aufenthalt entgegen: sie empfand keine Trauer, sondern nur diese schreckliche Leere.
Ein kleiner, übergewichtiger Mann mit dunklem Haar kam
auf sie zu. »Hallo.« Er machte einen gepflegten Eindruck und trug einen teuren Mantel. Er lächelte sie an.
Obwohl er ihr irgendwie bekannt vorkam, vermochte sie ihn zunächst nicht einzuordnen. Sie wich zurück und musterte sein Gesicht. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß Presseleute selbst bei einem so privaten Ereignis auftauchten. Zumal sie im Moment nichts sagen oder tun wollte, was an die Öffentlichkeit gelangte.
Sein Lächeln gefror. »Du erkennst mich nicht, oder? Mein Gott, Natalie. Ich schätze, es liegt an der neuen Uniform…«
Es war Mike Conlig.
»Mike! Mein Gott. Was ist denn mit dir passiert?«
Er grinste und strich sich verlegen über das Kinn. »Es gefällt dir nicht?«
»Du hast dich ganz schön verändert, Mike.«
»Was sein muß, das muß sein.«
»Bist du noch immer bei Oakland?« Conlig war nämlich nach dem Apollo-N-Debakel aus der NASA ausgeschieden und zu Oakland Gyroskope gewechselt.
»Sicher.« Er schaute sie nachdenklich an, als ob er sich fragte, wie sie die Neuigkeiten aufnehmen würde. »Ich bin zufrieden. Wir produzieren sogar Teile für die Saturn VB.
Vielleicht besuchst du uns einmal.«
»Klar«, sagte sie ohne allzu große Begeisterung.
»Ich arbeite nicht mehr in der Konstruktion, sondern im
Management.« Er lachte verlegen. »Dem Vernehmen nach soll ich zum Vizepräsidenten im Bereich Technik ernannt werden.
Ist das zu glauben? Und du – wie geht’s dir?«
Mir? Ich spiele doch noch immer die Tussi im Weltall. »Gut«, sagte sie zögerlich. »Wenn du Zeitung liest, weißt du wahrscheinlich mehr über mich als ich selbst.«
»Ja. Ich freue mich für dich, Natalie. Ich freue mich, daß du erreicht hast, was du wolltest…« Er wirkte verlegen und erging sich dann in Allgemeinplätzen. »Das öffentliche Interesse an der Mission hat stark zugenommen, nachdem deine Teilnahme bekanntgegeben wurde. Ich verfolge natürlich die Nachrichten.
Die Mars-Initiative ist im Lauf der Jahre stark angefeindet worden, nicht wahr? Doch das scheint sich nun abzuschwächen. Es ist wie bei Apollo 11…«
Da mußte wohl etwas dran sein, sagte sie sich: eine Reihe von Leuten hatte ihr das schon gesagt. Die starke Opposition gegen die bemannte Raumfahrt war fürs erste verschwunden, und die Öffentlichkeit konzentrierte sich nun auf die drei Menschen, welche die außergewöhnliche Reise antreten würden. Wenn die Raumfahrt von den Höhen der Technik und der Wissenschaft herabstieg und sozusagen ein menschliches Antlitz bekam, standen die Menschen ihr viel aufgeschlossener gegenüber.
Doch York wußte auch, daß Muldoon, Josephson und andere
sich schon die bange Frage stellten, was wohl nach Ares
kommen und wie lange diese günstige Stimmung noch
anhalten würde.
»Ich glaube, es liegt an dir, Natalie«, sagte Conlig zögernd.
»An mir? Wie das?«
»Wahrscheinlich liegt es daran, daß du eine Frau bist. Und weil du unverkennbar ein menschliches Wesen bist. Keiner von diesen sprachlosen Robotern, die man zum Mond geschickt hat. Grundsätzlich wünschen die Leute dem
Raumfahrtprogramm Erfolg; dessen bin ich sicher. Die
Astronauten sollen nämlich Neuland betreten. Das ist ein Urinstinkt des Menschen. Zumal wir es uns auch leisten können, wenn Reagan davon spricht, eine Billion Mäuse in die Verteidigung zu investieren. Aber das kalte, inhumane Gesicht der NASA wirkt abstoßend auf die Menschen. Doch nun wünschen die Leute dir Erfolg, weil du eine von uns bist. Du weißt, was ich meine?« Conlig musterte sie.
»Verdammt, Mike. Das ist vielleicht das Netteste, was
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